Der Liebessalat
er irgendwann am Ende seiner Irrfahrten Ruhe und Erlösung finden würde. Nun wurde er wieder daran erinnert, daß sie nicht häuslich stickte und webte, sondern in den Bergen herumstieg.
Viktor konnte sich nicht für alle Frauen, die Ellen toll fand, begeistern. Noch war es möglich, daß Penelope Wagner aus dem Tessin trotz ihres ausgesuchten Vornamens eine sommersprossige, sonnenbrandige, stämmige Person war, mit einer zu engen Bundhose an den ziemlich kräftigen Beinen, nackten, etwas formlosen Waden, einem breiten Hintern und einem sympathischen Madonnengesicht, dessen Ebenmäßigkeit Ellen angenehm auffiel, aber von einem sexistischen Grobian wie ihm nicht erkannt wurde. Es gab solche Frauen. Es gab schöne Frauen, deren Schönheit nur Ellen sah. Penelope Wagner würde vielleicht rotkarierte Hemden tragen und die glatten dünnen Haare mit einem kleinen Pferdeschwanz zusammenhalten – solche Frauen hatte Viktor gesehen, als er in seiner Schulzeit in Genf selbst in und auf die Berge gegangen war. Die Berge hatten sich als das ideale Gelände für pubertäre erotische Phantasien erwiesen, und die wenigen wirklichen Bergsteigerinnen mit ihren klotzigen Körpern, ihrem lauten Lachen und dem Geruch nach Sonnencreme hatten seine Sehnsucht nach leiseren und eleganteren Frauen unterstützt, die nur in seiner Phantasie aufzutreiben waren. So oft und so ziellos verliebt war Viktor allein mit seiner Sehnsucht in den Bergen gewesen, daß wie bei einem Pawlowschen Hund eine Konditionierung stattgefunden hatte: Ab etwa zwölfhundert Metern Höhe, wenn Viktor die wandernden Rentner hinter sich gelassen hatte und es langsam stiller und felsiger wurde, stellten sich erotische Empfindungen wie automatische Begleiter ein – zumindest bei sonnigem Wetter. Zwar war er seit vielen Jahren nicht mehr in den Bergen gewesen, aber durch Ellens Penelope-Schwärmerei kam die Erinnerung schlagartig hoch und die Sehnsucht nach gewissen Gerüchen und nach dem Gefühl, das Leben läge vor einem.
Nun, wo ihm so viele Frauen entglitten waren, hätte Viktor nichts dagegen gehabt, die sagenhafte Penelope endlich einmal in Wirklichkeit zu sehen. Nach Ellens neuen Informationen bestand allerdings die Gefahr, ihre Bergsteigerklobigkeit könnte das ideale Bild auslöschen und damit auch einen winzigen, irren, erotischen Hoffnungsschimmer.
»Ich kann ja mal mitgehen zu diesem italienischen Konversationskurs«, sagte Viktor.
Da starrte ihn Barbara seltsam an, schweigend, hob dann den Finger, deutete auf Viktor und sprach wie eine Wahrsagerin: »Du Viktor, darfst nie zu Penelope gehen, du darfst sie nicht einmal sehen!« Es fehlte noch, daß sie gesagt hätte: »Du würdest ihr verfallen!« Ihr Blick aber sagte das. In diesem Blick schien bereits ein gewisses Verständnis für Viktors künftigen Sündenfall zu liegen, für die Begegnung, die nach diesem Unkenruf unvermeidlich stattfinden mußte. Halb sah sie aus wie ein stolzer Verkündigungsengel, der vehement die frohe Botschaft überbringt, halb rätselhaft wie eine Sphinx.
Barbara kannte seine Bücher und wußte, welche Frauen seine Helden besonders verehrten. Und so wußte Viktor nun, daß Penelope kein stämmiges Milchmädchen von der Alm war, sondern eine geheimnisvolle dunkle Schönheit, eine scheue alpine Gazelle mit eleganten Gliedern. Kein vollbusig schnaufender Trampel, keine frischfröhliche Berserkerin, sondern ein zierliches Geschöpf mit diskretem Busen. Sofort sah er ihren Gang, dank osteopathischer Behandlung grazil und vorbildlich stolz, wie eine äthiopische Häuptlingstochter, die den Krug auf dem Kopf zum Brunnen balanciert, so würde Penelope gertenschlank und aufrecht durch die Bergwelt schreiten und an ihren geraden Schultern würden lässig die schlanken Arme baumeln: Sie war vermutlich genau die Frau, von der er vor zwanzig oder fünfundzwanzig oder dreißig Jahren auf seinen Bergtouren geträumt und die er nie gesehen hatte, kein Wunder, denn zu jener Zeit wurde sie gerade erst geboren. Penelope ist sechzehn Jahre jünger als ich, rechnete Viktor, das war happig, aber es ging noch.
Bisher war Viktors Penelope-Vision nur ein Gefühl gewesen, wie ein Blinder hatte er gelegentlich von Penelope geträumt, er hatte sie nicht vor sich gesehen. Durch Barbaras vermächtnishaft orakelnde Prophezeiung, er dürfe diese Frau nie zu Gesicht bekommen, war nicht nur die alte Phantasieliebe wieder erwacht, sie hatte nun auch eine ganz andere, nämlich realistischere Qualität
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