Der Liebessalat
angenommen. Nun sah er zwar noch immer kein Gesicht, aber eine elegante Silhouette in schöner Bewegung, und er konnte sich nun mehr vorstellen, als nur als müder Heimkehrer sein Haupt in ihren Schoß zu legen. Er konnte sich vorstellen, ihr in den Bergen zu begegnen. Von Penelopes Freund war die Rede, mit dem sie oft in die Berge ging, und an den Qualen der unsinnigen, aber doch echten Eifersucht merkte Viktor, wie sehr er von dieser Frau bereits erfüllt war, ohne sie je gesehen zu haben.
Seit sie in Zürich lebten, ging Ellen mit Barbara zu Penelopes Italienischkurs. Viktor hatte es sich nicht verkneifen können, diesen Kurs in seinem Liebessalat-Drehbuch vorkommen zu lassen, dessen Verfilmung nun auf Eis lag. In der ersten Fassung des Drehbuchs sagt Ehemann Robert zu Ehefrau Hella, als er ihr die nötigen drei Hundertfrankenscheine für den Kurs in die Hand drückt: »Irgendwann einmal mußt du diese Sprache doch endlich beherrschen!« Darauf sie: »Wir reden da miteinander. Wenn du dich mehr mit mir unterhalten würdest, bräuchtest du mir keinen Konversationskurs zu bezahlen.« Speziell diesen Dialog hatte die Leiterin der Abteilung Fernsehfilm in Köln nicht ertragen. In Filmen, die sie produzierte, mußten die Frauen ihre Kurse selbst bezahlen können. In der zweiten Fassung war Hella dann Juristin und mußte ihren Pleite-Poetenmann nicht um das Geld bitten. Vielmehr ruft sie ihm beim munteren Verlassen des Hauses zu: »Sag’s mir bitte, wenn du auch mal was unternehmen willst und dreihundert Franken brauchst – zum Beispiel für einen Bordellbesuch.« Für den geänderten Dialog hatte ihm die Leiterin der Abteilung Fernsehfilm einen satten Extrakuß aufs Maul gedrückt. Die Szene war jetzt ganz nach ihrem feministischen Geschmack.
So schlimm aber war es in Viktors Wirklichkeit nicht. Dank der dreißigtausend für das Drehbuch hatte er fürs erste nicht mehr das dumme und zudem spießige Gefühl, auf Ellens Kosten zu leben. Und nach einem Bordellbesuch war ihm noch nie zumute gewesen. So dürftig sein Sexualleben zur Zeit auch war, es entstand dadurch kein Überdruck oder sexueller Heißhunger, wie Frauen in Verkennung der männlichen Physiologie immer wieder vermuteten, wenn man eine Weile nicht miteinander geschlafen hatte. Auch Ellen unterlag diesem Irrtum. Viktor jedenfalls machte eine klösterliche Phase nicht besonders scharf, sondern eher erotisch verträumt.
Weit und breit aber war keine Frau in Sicht, die seine brachliegenden Wünsche nach frischer Liebe hätte auf sich ziehen können – aus diesem Grund wohl, so versuchte sich Viktor das Phänomen selbst zu erklären, nahm die ihm unbekannte Italienischlehrerin namens Penelope Wagner aus dem Tessin, die auf Grund ihres hübschen Namens schon gelegentlich in seinem Kopf herumgespukt hatte, nun als junge Frau mit langen Wimpern und einem dunklen Haarschopf und einer wahrscheinlich guten Figur genauere Gestalt an und entwickelte sich in Ermangelung anderer verfügbarer Personen in seiner Phantasie zu einer verführerischen Dauerbegleiterin. Als Teenager hatte Viktor nicht schlecht mit solchen Begleiterinnen im Kopf gelebt, er beschloß, es dennoch nicht pubertär und nicht wahnhaft, sondern verjüngend zu finden, wenn er jetzt wieder auf die Tröstungen der Einbildungskraft zurückgriff.
Viktor konnte nicht an Penelope denken, ohne sich an den Beginn der Geschichte mit Ira zu erinnern. Es gab Parallelen. Auch damals war da die Aufforderung der Ehefrau gewesen, sie doch in einen Kurs zu begleiten. Ella ertüchtigte allwöchentlich ihren Körper und fand, das Training könne Viktor nicht schaden. Viktor fand, schlanker und fitter als er könne man nicht sein, das Eindreschen auf die schwere mechanische Schreibmaschine, die er damals benutzte, sei Fitneßtraining genug. In der Gruppe waren lauter Ehepaare, es hatte Ella nicht gefallen, als einzige unbemannte Frau ihre Streck- und Dehnübungen zu machen. Auch brauchte man für manche einen Partner. Schließlich hatte Ella mit der Kursleiterin gelockt: die Figur dieser Frau, ihre grünen Augen, ihre schwarzen Haare. Viktor werde begeistert sein. Das endlich half. Viktor begleitete Ella, versuchshalber. Fortan ließ er keine Stunde aus. Der Kurs ging ein halbes Jahr, und manchmal mußte er Ella animieren, deren Begeisterung für Sprach- und Mal- und Köperkurse nach einer Weile immer nachließ. Nicht nur die Figur der Kursleiterin, ihre grünen Augen, die Viktor eher bernsteinfarben fand, ihre
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