Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
Vom Netzwerk:
selten auf.
    Es waren nicht nur die Nüsse, die er nun verschlang. Das Schreiben hatte an ihm gezehrt. Bei jedem Buch hatte er sich seziert und Substanz abgegeben. Er schwitzte und sein Herz klopfte, wenn er schrieb und seine Besessenheit noch einmal durchlebte. Er wog sich nie, aber nach jedem Roman schlotterten die Hosen besonders. Die Leute sagten, er sehe elend aus, und er fühlte sich wohl. Das gefiel ihm. Er fühlte sich undomestiziert und undomestizierbar. Das war es, was die Ehefrauen nicht mochten. Sie sagten: »Du siehst schlecht aus, du solltest mehr schlafen und essen!« wenn ihm besonders wild und wohl und unhäuslich zumute war. Natürlich! Er war ihnen nicht geheuer, wenn er ausgezehrt wirkte. Sie wollten ihn zähmen.
    Ehefrauen wollten einem einreden, man sei krank, wenn man sich verzehrte vor Sehnsucht woanders hin. Man war ja auch krank. Love Sick: »I’m sick of love; I wish I’d never met you I’m sick of love; I’m trying to forget you«, wie der alte Bob Dylan sehr glaubwürdig sang, und natürlich läßt er sicherheitshalber eine Tür für die Liebe auf, in der Hoffnung, die Herzdame möge zurückkommen, auch wenn sie ihn noch so quält: »I’d give anything to – be with you.«
    Schon seit Monaten war es Viktor elend zumute, und es hieß: »Endlich mal hast du etwas Fleisch auf den Knochen.« Er mochte es nicht, das Fleisch auf seinen Knochen, diesen neuerdings unkonturierten Oberkörper, dieses Zeichen dafür, daß ihn keine Liebe herumtrieb und hetzte.
    Viktor ging auch deswegen nicht mehr gerne essen, weil er nichts mehr zu berichten hatte. Früher hatte man ihn nach seinen Erlebnissen gefragt, und er hatte von zahlreichen unerreichbaren Frauen geschwärmt, die ihm begegnet waren, und von den weniger zahlreichen erreichbaren geschwiegen. Früher hätte er gern von der Tscherkessin erzählt, die problemlos mit zwei Männern zusammenlebe. »Ménage à trois, Viktors Traum«, wäre Ellens Kommentar gewesen. »Ganz bestimmt«, hätte er gesagt. Wenn Ellen auf die Toilette gegangen wäre, hätte ihm Barbara eine Weile kritisch in die Augen gesehen und dann gesagt: »Ich hoffe, das meiste, was du erzählst, ist erfunden.«–»Was ist der Unterschied, Barbara?« wäre seine Antwort gewesen – früher in den fetten Jahren, als er dürr war wie ein Ziegenbock.
    Viktor hatte das Gefühl, daß Barbara ihn wegen seiner Ansichten über die Ehe als Katastrophengemeinschaft, aus denen er keinen Hehl machte, nicht sonderlich mochte, und eben das hatte ihn schon immer gereizt, in ihrer Gegenwart dunkle extrempolygame Andeutungen zu machen, die Barbara als Freundin von Ellen nicht hören wollte, deren Wahrheitsgehalt sie aber doch interessierte. Viktor mochte Barbara, die er so apart und anziehend fand, daß er manchmal schon drauf und dran gewesen war, sich ein kleines platonisches bißchen in sie zu verlieben.

    Weil ihm Barbara mit ihrem sympathischen Gestichel vertraut war, ließ sich Viktor trotz Krise und bulimischen Anwandlungen überreden, mit Ellen und der Freundin essen zu gehen. Auch weil er keine Nüsse mehr sehen konnte. Leider wurde seine angeblich ungesunde Lebensweise zum Thema: Für einen Menschen, der tagelang in seinem Arbeitszimmer zubringe, in dem allem Anschein nach nichts Nennenswertes entstehe, müsse etwas getan werden, meinte Ellen – und sie meinte es ziemlich ernst. Alle Formen der Fürsorge aber verschlimmerten nur Viktors trübe Stimmung. Ellen konnte es nicht lassen. Wie schon in besseren Zeiten kam sie wieder mit ihrer Krankengymnastik daher, und wütend schrie Viktor: »Ich bin nicht krank!«
    Ellen versuchte zu beschwichtigen: »Du bist nicht krank, aber du bist bald krumm – wenn du so weitermachst.« Ihre geduldige Besorgnis konnte Viktor nicht brauchen. Er flehte sie an, wenigstens die Wendung »Wenn du so weitermachst« zu vermeiden. Das gnädige Schicksal habe ihm eine Mutter erspart, die ihn mit dieser fürsorglichen Formulierung traktiert hätte, er könne jetzt wirklich keine mütterlichen Zuwendungen gebrauchen, wie er sie in der Spätphase von Ella ab und an hatte ertragen müssen. Das wolle er hinter sich haben.
    Trotz solcher Warnungen sagte Ellen, Männer in Viktors Alter, die Raubbau mit ihrer Gesundheit trieben, stürben wie die Fliegen. Viktor sagte, »Männer in deinem Alter« sei auch eine unzumutbare Bezeichnung, die erst ab siebzig erlaubt sei. Da könne sie ja gleich »Du wirst auch nicht jünger« sagen. Ellen erinnerte wieder einmal daran,

Weitere Kostenlose Bücher