Der Liebessalat
regeln«, sagte Penelope.
Viktor malte sich aus, wie er in Zukunft mit Penelope in Kaffeehäusern herumsitzen und sich in bequemen Betten an sie schmiegen, wie er mit ihr auf dem See Ruderboot fahren und im Kino sitzen würde. Und gepflegte Spaziergänge würden sie machen – höchstens mal zwölfhundert Meter hoch hinauf. Denn für die Berge, dachte Viktor, hat sie ja ihren Urs.
»Von wegen«, sagte sie. Urs war als ihr Freund so oft mit ihr in die Berge gegangen, er wollte jetzt als ihr Ehemann ein bißchen in Kaffeehäusern mit ihr herumsitzen und rudern auf dem See und ins Kino gehen – und höchstens mal auf einen kleinen Hügel steigen. »Dich«, sagte die Gazelle strahlend, »habe ich als meinen Hochgebirgsgeliebten ausersehen. Du bist zäh, und es macht Spaß, von dir die Steigeisen festgezurrt zu bekommen.«
Da legte Viktor Goldmann, der Steinbock, neuerdings auch Vittore Stambecco genannt, den Kopf in den Nacken: »Nein!« schrie er in die Bergwelt, »nein, hab Erbarmen, bitte nicht das! Nie wieder eine Nacht neben dir in einem Biwaksack!«
Doch Penelope Wagner, die Tanz-Antilope, die Alpin-Gazelle, genannt Gazzella delle alpi, legte ihren penelopesischen Gazellenkopf in den Nacken, und wenn sie ein Antilopenschwänzchen gehabt hätte, dann hätte dieses Schwänzchen jetzt wie ein Propeller gewirbelt. Sie hob ihre langen lässigen Arme zum Himmel und schlug sich dann mit ihren zarten Fäusten vergnügt auf die Brust: »Yeah!« schrie sie in die Berge hinein und stampfte übermütig mit einem Fuß auf: »Yeah, yeah, yeah! Du wirst mich auf alle Viertausender dieser Alpen begleiten, Stambecco.«
»Ich bin Dichter, ich bin ein Stadt- und Stubenmensch, der Schreibtisch ist meine Heimat«, jammerte Viktor, »nicht diese Gletscher, das ist alles so gesund hier oben, ich werde bald wie ein sturer Bergführer aussehen.«
»Du bist mein Stambecco«, sagte sie und schnalzte mit ihrer Gazellenzunge vor Freude.
»Wie viele Viertausender gibt es?« fragte Viktor
»Genug«, sagte Penelope und lachte.
»Wenn wir damit fertig sind, möchte ich mit dir ins Kino gehen«, sagte Viktor.
Sie nickte, fast feierlich: »D’accordo.« Dann, unerwartet, umärmelte sie ihn, wie sie es nannte. Sie ließ ihre Arme zu Efeu werden und umrankte ihn derart mythologisch, daß der ungläubige Viktor Angst bekam, gleich könne ein mißgünstiger Halbgott um die Ecke kommen und ihn in einen alten Baumstamm verwandeln und Penelope in ein immergrünes Klettergewächs.
»Man hat uns das so eingeimpft, daß Liebesglück nicht haltbar ist«, sagte Viktor, »daß man dauernd fürchtet, gleich könne es zu Ende sein.«
Das fand Penelope nicht. »Ist doch kein Glück für dich, wenn du dich mit mir in eisigen Höhen herumschlagen mußt, das ist doch eine Strafe.« Wieder schrie sie drei Mal: »Yeah! Yeah! Yeah!« Viktor hätte nie gedacht, daß eine so zierliche Frau solche übermütigen Schreie ausstoßen könnte. Die Schreie kamen in kleinen Abständen und kamen als Echo zurück. Sie erinnerten an die Anerkennungs- und Anfeuerungsrufe, mit denen das begeisterte Publikum einen Jazzmusiker antreibt, dem gerade ein besonders rasantes Solo einfällt.
Keine Lawine ging ab und verschlang das Paar, kein Steinschlag zerschmetterte einen von beiden und ließ den anderen verzweifelt zurück, wie es das Gesetz der Tragödie verlangt. Kein Erdrutsch verschüttete sie. Das oft so grausame Schicksal, das die Liebenden, kaum haben sie sich gefunden, für immer auseinanderreißt, hatte ein Einsehen mit Viktor und Penelope. So unbehelligt von den Nachstellungen der Natur war ihr Abstieg, daß Viktor in seinem Übermut bedauerte, daß Penelope kein einziges Mal stolperte und ihm Gelegenheit gab, sie mit starken Armen zu halten. Kein Blitz erschlug sie oder einen von ihnen, um sie zu strafen, für ihre Untreue, ihren Partnern im Tal gegenüber. Kein Unwetter weit und breit, nicht einmal ein Donner, der gedroht hätte, weil so viel Glück nicht erlaubt ist auf Erden. Keine Mücke stach ihnen in die Waden, keine Fliege belästigte sie. Kein Wildbach spülte sie oder einen von ihnen in die tiefe dunkle Schlucht, nicht einmal harmloses Schmelzwasser, das über den Weg geflossen wäre und ihnen die Schuhe naß oder nur schmutzig gemacht hätte, leider, denn Viktor hätte die federleichte Penelope gern mannhaft über das Naß getragen.
Auch auf der Rückfahrt nach Zürich geschah kein Unheil. Kein düsterer Motorradfahrer aus der Unterwelt verlor die
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