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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Steinbock bist für die heutige Nacht«, sagte sie dann.
    Er fuhr hoch und schlug sich den Kopf an der niedrigen Decke: »Wo hast du den Satz her?«
    Sie lachte: »Hast du geschrieben. Eine deiner hunderttausend Phantasieszenen: Wir treffen uns irgendwo, und ich sage das. Ein schöner Satz.«
    »Der Satz ist frei nach Rilke«, sagte Viktor.
    »Weiß ich«, sagte sie.
    »Woher weißt du das?«
    »Hast du auch geschrieben.«
    »Was sage ich denn in dieser Szene auf deine Frage?«
    Penelope kicherte.
    »Sag doch«, sagte Viktor, »ich weiß es wirklich nicht mehr, ich habe dir so viele Briefe geschrieben, wie soll ich mich an alles erinnern?«
    »Hundertsiebzehn Briefe«, sagte sie.
    »Was sage ich?« Viktor bettelte: »Sag mir bitte, was ich sage, wenn du mich fragst, ob ich vergessen habe, daß ich dein Steinbock bin – du erinnerst dich doch.«
    »Nichts«, sagte Penelope. Und als Viktor schwieg: »Versuch dich selbst zu erinnern. Was sagt man auf so einen schönen Satz?«
    »Nichts«, sagte Viktor, »man sagt nichts, man schweigt.«
    »Genau«, sagte Penelope, »du schweigst. Und dann tust du was.«
    »Was tue ich?« fragte Viktor.
    »Nein«, sagte Penelope und schüttelte lächelnd den Kopf, »so ist es nicht richtig: Du tust was, und ich frage dich: Was tust du da?«
    »Jetzt weiß ich, was ich tue«, sagte Viktor und ließ seine freie Hand lebendig werden: »Tue ich das?«
    Penelope krümmte sich vor Lachen. »Ja«, sagte sie dann und biß ihn ins Ohr. Und als er nicht abließ, sagte sie: »Was tust du da?«
    »Jetzt fällt es mir wieder ein, was ich sage, auf deine reichlich rhetorische Frage«, sagte Viktor.
    »Nämlich?«
    »Ich geh dir ans Fell, Gazelle!«
    »Richtig«, sagte sie, »genau das sagst du.«
    Viktor ging ihr ans Fell. Er fuhr ihr durchs Fell mit den Fingern.
    Sie schwiegen.
    »Du nennst es ‘Fell’, das gefällt mir, Stambecco«, sagte sie nach einer Weile.
    »Den Satz habe ich dir nicht in den Mund gelegt«, sagte er, »das hätte ich nicht gewagt.«
    »Ja«, sagte sie, »das sage ich jetzt, Stambecco, das hast du nicht geschrieben.«

    Am nächsten Morgen wollte Viktor nicht aufstehen. Er wollte die Hütte nicht verlassen. Die Sonne schien. Er wollte bis zu seinem Lebensende hier bleiben und Steinbock sein und seiner Gazelle ans Fell gehen. »Nie mehr ins Tal!« rief er. Sie schnallte sich ihre Ski an, schrie vor Vergnügen und fuhr los. Viktor war seit zwanzig Jahren nicht mehr auf Skiern gestanden. Dafür ging es ganz gut. »Du fährst wie eine Antilope«, sagte er tief atmend, als er sie eingeholt hatte, »und ich fahre wie ein Büffel.« Sie widersprach nicht.
    »Du widersprichst nicht?« fragte er.
    In eleganten Schwüngen fuhr sie bergab. »Was ist? Mir nach!« rief sie von unten herauf.
    Viktor tat sein Bestes. Sein Fahrstil war altmodisch. Sie waren jetzt nicht mehr so hoch. Es wurde wärmer, und der Schnee war weich. Penelope hatte ihre zollbeamtinnenhafte Daunenjacke ausgezogen und in ihren Rucksack gesteckt. Ihre schönen geraden Schultern und ihre äthiopisch lässigen Arme waren wieder sichtbar. »Schau nicht so verklärt!« rief sie ihm zu.
    »Schau du mir nicht so kritisch beim Fahren zu«, rief er zurück, und es gelang ihm, ohne zu stürzen, den steilen Hang hinunter zu ihr zu kommen.
    »Lo Stambecco innamorato«, sagte Penelope: »Der verliebte Steinbock, eine komische Oper.«

    Mit dem Schnee war es bald vorbei. Sie schnallten die Ski an den Rucksack und gingen bergab.
    »Und jetzt?« fragte Viktor.
    Penelope sagte: »Ich denke, du magst diese Frage nicht.«
    Viktor: »Wie kommst du darauf?«
    Penelope: »Hast du mir geschrieben. Ich weiß, daß dir deine ersten zwei Ehefrauen diese Worte entgegengeschrieen haben:
Und jetzt?
Ich weiß eine ganze Menge. Ich weiß, daß du Angst hast, mit mir und Ellen zusammen zu sein. Dein
Enterotisierungstrauma –
lieber Himmel, diese sensiblen Poeten!«
    »Hab ich dir auch von meinen Prozentvorstellungen geschrieben?« fragte Viktor.
    »Allerdings.« Penelope nickte wie Ellen. Und Ellen sagte neuerdings »Super« wie Penelope. »Du hast um zehn Prozent von mir gebeten. Ich hab mir überlegt ob ich dir zwanzig oder dreißig anbieten soll – um dich zu beschämen. Das dürfte dich in Verlegenheit bringen. Ellen, Ira, die Tscherkessin – und dann brauchst du auch noch eine Reserve für Eventualitäten, falls die indische Miss World noch einmal auftaucht.«
    Ihr Spott tat ihm weh, so ernst war es ihm.
    »Es ist nicht uncool, die Sache zu

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