Der Liebessalat
unverbindlichen Besuch wäre, daraus konnte sich dann eine schöne Nacht entwickeln.
Rebecca brauchte kein Buch mit Anleitungen für Liebhaber der freien Liebe. Mit ihren orientalischen Instinkten wußte sie, daß es ein Gesetzesverstoß war, zu sagen: »Ich komme nach Zürich, um dich zu besuchen.« Sie hatte leichthin vorgeschlagen: »Ich besuche ab und zu in Zürich Mischpoche, wenn du Zeit hast, könnten wir uns sehen.« Zu Viktors Entzücken hatte sie Verwandtschaft nicht nur in Zürich, sondern auch in Frankfurt und Paris. In Frankfurt könne sie immer in seiner Wohnung nächtigen, hatte Viktor ihr sofort großzügig angeboten. Wenn er in Paris sei, stünde ihm immer das Appartement zur Verfügung, das ihr Bruder dort habe, war ihre Antwort. Sie hatten sich angestarrt, und es war völlig klar, daß sie in Paris zu tun haben würde, wenn er dort wäre, und daß er in Frankfurt wäre, wenn sie dort zu tun hätte, und daß sie aufregende Gespräche über die Freiheit und die Sklaverei der Liebe führen und Freiheit und Sklaverei praktizieren würden.
Sabine, der sich Viktor mit großen Schritte näherte, besaß diese Instinkte nicht. Sie betrachtete Viktor in ihrem Einzugsbereich Hannover als ihre rechtmäßige Beute. Das hatte ihn vorhin nervös gemacht. Seitdem in seinem Leben die Tscherkessin aufgetaucht war, seit zwei oder drei Stunden also, störte ihn das nicht mehr. Heute eine Nacht mit Rebecca, das wäre zuviel gewesen. Die erste Tscherkessen-Session konnte warten. Viktor war jetzt froh, mit der wohlvertrauten Sabine verabredet zu sein. Rebecca lief ihm nicht weg. Er lief ihr nicht weg. Niemand lief irgendwem weg. Ellen, Ira, Susanne, Beate, Bettina, Sabine, Rebecca – warum sollten sich Menschen, die man kannte, in die Quere kommen? Das Leben lag völlig geordnet da, eine Ansammlung schönster Optionen, und unter ihm, als hätten sie nichts mit ihm zu tun, arbeiteten seine Beine maschinenartig daran, ihn rasch voranzutragen, dem Hotel entgegen.
Nacht ohne Schlaf
Es war Punkt zwei Uhr. Viktor stieß gegen die Drehtür. Der Spurt war jetzt doch zu spüren. In der Halle war Sabine nicht zu entdecken. Kaum hatte er sich keuchend in einen Sessel fallen lassen, kam der Nachtportier von der Rezeption und reicht ihm ein Telefon: »Für Sie!«
Viktor war übermütig. »Danke, ich vertrage die Dinger nicht«, sagte er.
Der Nachtportier verstand nicht.
»Mein Herzschrittmacher kommt durcheinander«, sagte Viktor, »hören Sie doch, wie mein Herz jetzt schon rast.«
»Das ist kein Mobiltelefon«, sagte der Nachtportier geduldig. Er war an betrunkene Gäste gewöhnt, und Viktor, euphorisch wie er war, verhielt sich kaum anders. »Mobiltelefone können gefährlich sein. Das aber ist ein normales schnurloses Telefon.«
Viktor schwenkte den Hörer: »Ich verstehe die moderne Welt nicht mehr. Dieses Ding ist doch mobil.«
Jetzt drang Sabines Stimme aus dem Hörer: »Hallo, Viktor sei nicht albern! Diese Witze sind alt!« Dann lobte sie seine Pünktlichkeit, sie habe nicht damit gerechnet, daß er tatsächlich um zwei im Hotel sei. Daher ihr Anruf. Mit wem er eben gevögelt hätte? Warum? Weil er so jämmerlich schnaufe. Ob er alt werde? In zehn Minuten sei sie da. Viktor fühlte sich bedrängt.
Eine Viertelstunde später lagen sie in Viktors Zimmer angezogen auf dem Bett. Sabine hatte ihren zu kurzen Rock mit einer grauen Jeans vertauscht und war es sich schuldig, erst einmal ihr Schmollprogramm abzuspielen: Viktor sei das Letzte! Einfach mit einer anderen abzuziehen! Sie zur Nummer zwei zu degradieren! Sie beschwerte sich kopfschüttelnd. Ihre diffuse Empörung konnte jederzeit in echte Wut oder unechtes Lachen umschlagen. »Wer bin ich denn?« rief sie. »Wieso bin ich hier! Ich möchte wissen, was an dir dran ist.«
»Nichts«, sagte Viktor.
»Ich will nicht auf ein Nichts reingefallen sein«, sagte sie.
»Wenn der windigste Popsänger auf der Bühne erscheint, fallen gleich ein paar Dutzend Fans in Ohnmacht. Die Wirkung eines Autors ist hundertmal kleiner. Aber sie reicht aus, daß man seine Nähe sucht. Und daß man ihm seine Untugenden verzeiht. Du verzeihst mir doch?!« Viktor berührte mit dem Finger ihre Nase und dachte an die Nasen von Bettina und der Tscherkessin.
»Ich verzeihe mir nicht«, sagte Sabine. »Du denkst die ganze Zeit an die schöne Jüdin. Ich kenne deine Bücher ziemlich gut, ich weiß, daß du auf solche Frauen stehst. Immer wieder kommst du mit diesen kleinen, zähen, dunklen
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