Der Liebessalat
Hexen! Damals war es Ira. Oder du fährst auf ordinäre ab. Die Frau im Zug. Mit dem Nasenring. Die hast du sicher nicht erfunden. Du kannst ja nichts erfinden. Du kannst nur alles von der Wirklichkeit abschreiben. Deswegen sind deine Bücher ja so gut!«
Sie küßten sich unkonzentriert.
»Du machst es dir so leicht«, schimpfte Sabine.
Viktor war beruhigt. Sabine schien es hinzunehmen, daß er sie nicht wie einst in lila Lederhosenzeiten überfiel, und wich offenbar in ein Gespräch über seine Schreibmethoden aus. »Ich will tatsächlich den Eindruck erwecken, als mache ich es mir leicht«, sagte er, »und das gelingt mir offenbar ganz gut. Aber das täuscht. Ich mag nur Leute nicht, die dauernd jammern. Ich finde das unanständig.«
Sabine war skeptisch: »Was belastet dich denn?«
Viktor deutete auf eine Mappe mit Notizen auf dem winzigen Hotelschreibtisch: »Das da! Immer muß ich irgend etwas schreiben. Ich habe nie Ruhe, verstehst du! Nie Feierabend, nie ein freies Wochenende, nie Ferien. Immer schreiben, schreiben, schreiben. Wenn ich nach Hause komme, haben zwanzig Leute angerufen: ‘Wo bleibt denn der Text!?’ Den Druck wünsche ich keinem.«
»Jetzt hast du doch gejammert. Bravo!« Sabine schnurrte freundlich. »So viel Arbeit und so viel Liebe. Du bist wirklich zu bedauern. Manche haben beides nicht.«
Sie schwieg, und Viktor fand einen zarten Kuß angebracht, doch Sabine stieß ihn zurück: »Das wird nichts mehr!«
Viktor war erleichtert, glaubte aber seine Unlust erklären zu müssen:
»
Es liegt an deiner Hose.«
»Ich weiß«, sagte Sabine, »es ist nicht mehr die berühmte lila Lederhose. Du weißt, warum ich sie nicht mehr trage.«
Weibliche Kleidungsgrößen waren Viktor vertrauter als seine eigenen. Sabine müßte früher 36 gehabt haben, und jetzt dürfte 40 schon eng werden. Er schwieg höflich.
»Es kann doch nicht wahr sein, daß du ein derart äußerlicher Typ bist«, sagte Sabine und erinnerte ihn jetzt zunehmend an Ella und ihren Tonfall der Enttäuschung, an ihre Verhöre und Verurteilungen. Dieser Ton tilgte sofort den letzten Rest von Erotik, der noch vorhanden war und vielleicht ausbaufähig gewesen wäre. Es war anzunehmen, daß auch eine Sabine mit den Maßen und der Hose von früher ihn heute nicht hätte entflammen können. Die Nasenring-Tina hätte die Sabine von damals noch ausstechen und vergessen machen können, nicht aber Rebecca. Gegen die nur eine halbe Laufstunde entfernte Rebecca kam die neben ihm liegende Sabine nicht an. Die wüsten erotische Verheißungen der Rebecca-Tscherkessin ließen Sabines passiven Schmoll-Sex verblassen. Mit der Nasenring-Tina im Bett wäre ihm jetzt wohler. Er würde sich dabei vorstellen, wie die Tscherkessin quasi als orientalische Sklavenspezialistin dieser Initiation mit boshaftem Interesse zusehen und Bettina anschließend in weitere Geheimnisse der Unterwerfungskunst einweihen und zu einer bisexuellen Geliebten von ihnen beiden ausbilden würde. Die zweistündige Unterhaltung mit der tscherkessischen Rebecca im Nebenzimmer ihres schlafenden oder arbeitenden Mathematikergatten hatte ausgereicht, um in groben Zügen die sexuellen Bedürfnisse zu skizzieren und aufeinander abzustimmen. Viktor hatte der Tscherkessin versprechen müssen, ihr haarklein vom ersten Mal mit der Nasenring-Bettina zu berichten, falls es dazu eher käme als zu einem ersten Mal mit ihr. Viktor hatte noch nie zuvor eine Frau getroffen, die das Wort »ficken« so gerne und kraftvoll und so selbstverständlich und so vielversprechend aussprach wie die Tscherkessin. Diese phänomenal großherzige Orientalin hatte nicht das Geringste dagegen, daß Viktor mit der »reizenden Buchhändlerin« schlief, keine halbe Stunde, nachdem sie sich am Fuße eines Korbstuhl ihrer Lust aufeinander versichert hatten –»Geh jetzt zu deiner Schickse«, hatte sie gesagt, wie eine Komplizin, die für lästige Verpflichtungen Verständnis hat. Die Toleranz aber ist keine haltbare Stimulanz, und die Toleranz der Tscherkessin reichte Viktor nicht aus, um Sabine aus den nötigen Leibeskräften zu begehren. Wenn die Tscherkessin ein erotisches Interesse an Sabine geäußert hätte, hätte Viktor das jetzt auf sich übertragen können. Er überlegte sich, ob er in einem imaginativen Kraftakt Sabine in Bettina verwandeln und damit attraktiver machen sollte. Er spürte, wie schon das Vorhaben seine verschüttete Lust mobilisierte, aber es war heute einfach schon zu spät für den
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