Der Liebessalat
Judentum ironisch jonglierende Jüdin, die nichts dagegen hatte, eine Tscherkessin zu sein. Diese Frau war der wandelnde und kauernde und orientalische Beweis, daß die abendländische Ehe mit ihrem grotesken Treueschwur ein seit Jahrhunderten von dem durch und durch hassenswerten Christentum sorgsam kultivierter Irrtum war und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch wenn ein anderer Mann das Glück gehabt hätte, der Tscherkessin zu begegnen, wäre Viktor allein von ihrer unchristlichen Existenz begeistert gewesen. Daß ihm das Glück widerfahren war, mit dieser Frau eine verheißungsvolle Begegnung zu haben, machte ihn so glücklich, daß er sich sogar auf Sabine freute, der er mit großen Schritten entgegenlief. Noch mehr allerdings freute er sich, morgen der Tscherkessin einen langen Brief zu schreiben und ihre Einzigartigkeit zu rühmen, die seine Beine und sein Herz gleichermaßen in Schwung gebracht hätte. Wären die wenigen nächtlichen Hannoveraner Gestalten Viktor nicht mißtrauisch ausgewichen, hätten sie sehen können, daß hier kein Räuber und Mörder und auch kein verirrter Bewegungsfanatiker verbissen durch die Straßen keuchte, sondern ein glücklich vor sich hinlächelnder Verliebter, den die Füße ohne jede Mühe ganz von selbst dahintrugen.
Jetzt, wo Viktor ohne ihre korrigierende Gegenwart an sie dachte, war sie seltsamerweise »Rebecca« und nicht »die Tscherkessin«. Es war immer bereichernd, unbekannte Frauen zu treffen und kennenzulernen, und von allen Begegnungen in letzter Zeit war die mit Rebecca die bereicherndste. Es hatte übrigens doch noch eine Ohrfeige gegeben vorhin. Nicht als Viktor gedroht hatte, er werde ihren Mann umbringen, wenn der ihn noch einmal davon abhalte, seine Lieblingssklavin zu vernaschen. Die Bemerkung hatte sie lustig gefunden, wie sie alles Gerede zum Leuchten und Glühen brachte, das vom Versklaven handelte, so auch Viktors in einem Anfall großer Geilheit ihr ins Ohr gezischte Vision, er werde sie nach Zürich entführen und dort in seinem Keller als seine Gefangene halten, über die er nach Lust und Laune verfügen werde. »Ja«, hatte sie gehaucht, um ihn wenig später mit ihrer harten Hand heftig ins Gesicht zu schlagen, als er nämlich schwärmerisch behauptete, sie sei eine Bereicherung für sein Leben. »Man bereichert sich nicht!« erklärte sie dem überraschten Viktor streng, der dann die Bezeichnung »Gewinn« vorschlug, aber da schlug die Tscherkessin wieder zu. Da sie sich, wenn auch aus Korsika kommend, als Jüdin und somit als Orientalin verstand, akzeptierte sie schließlich Viktors Definition als seine »ganz persönliche Osterweiterung«.
Viktor, auch weil er davon lebte, alles aufzuschreiben, neigte dazu, aus seinen praktischen Erfahrungen Theorien der Liebe zu basteln und gewappnet mit diesen Theorien neue Erfahrungen zu machen. In einem seiner Romane nimmt ein Liebhaber einer lüsternen Frau namens Ines, für die Ira Modell gestanden hatte, die hinderlichen Skrupel, ihren Ehemann und die Ehefrau ihres Liebhabers zu betrügen, in dem er ihr erzählt, Gott habe Moses auf dem Berge Sinai als siebtes Gebot diktiert: »Du sollst begehren Deines nächsten Weib, denn Gott schuf die Vielfalt nicht ohne Grund.« Moses aber, entweder eigensinnig oder spießig oder feige und aus Bequemlichkeit zur Treue neigend oder schon ohne Libido, oder mißgünstig oder einfach nur schwerhörig, habe das blanke Gegenteil in Stein gehauen, und Gott, der alte Schlamper, etwas weitsichtig auch schon, habe beim Korrigieren der Gesetzestafeln den Fehler übersehen. Mit diesem Märchen hatte er Viktor die anfangs bedenkliche Ira tatsächlich so erheitert, daß sie sich endlich mit gutem Gewissen seiner und ihrer eigenen Lust hingeben konnte. Im Roman ersinnen Ines und ihr Liebhaber dann noch weitere Liebesgesetze. Das erste Gebot der freien Liebe verlangt natürlich, daß die Liebhaber feste andere Partner und möglichst Kinder und Berufe haben – und also nicht viel Zeit füreinander, weil viel Zeit und allzu häufiges und ungehindertes Zusammensein keiner Liebe guttut. Ein anderes Gebot war, sich nie zu besuchen, ohne nicht auch noch einen anderen Grund für die Reise zu haben. Es konnte leicht schiefgehen, wenn man eine Reise nach Wien oder London plante, um endlich ungestört füreinander dazusein. Sofort bildeten sich Erwartungen, die unerfüllbar waren. Man mußte in einer Stadt zu tun haben und beiläufig anfragen, wie es mit einem kleinen
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