Der Liebessalat
sich Sabine gegenüber plötzlich wie ein Verräter vor. Als würde er nicht mehr zu ihr halten. Als sei sie ihm peinlich, weil sie keine gertenschlanke lila Schönheit mehr war, und er gestand: »Sie ist die Frau mit der lila Lederhose.«
»Du siehst sie heute nacht noch«, sagte die Tscherkessin wie eine Seherin.
Wieder nickte Viktor. Er wußte nicht recht, was für ein Gesicht er dazu machen sollte. Er fühlte sich ein bißchen verlegen und ertappt und hallodrihaft und reumütig und der Situation nicht gewachsen, und das sah ihm die Tscherkessin auch an.
»So schlimm wird es nicht werden«, sagte sie. Viktor fühlte sich vollkommen verstanden, küßte verliebt ihre krummen Füße und ihre zähen zierlichen Tscherkessinnenbeine. Sie änderte ihre kauernde Haltung nicht, streichelte seinen Kopf und sagte: »Ich mag dich!«
Viktor fragte sie, ob es sein könne, daß die Juden ein natürlicheres Verhältnis zu der Natürlichkeit der Liebe hätten. Soweit er sich an die Romane jüdischer Autoren erinnere, sei eheliche Untreue nie das ganz große und katastrophenauslösende Problem, das sie in der gottverdammten christlich geprägten abendländischen Literatur sei: Wenn dem so sei, wenn Untreue in der jüdischen Kultur zu den amüsanten Sünden zähle und nicht zu den tödlichen, werde er, obwohl ein Verächter aller Religionen, zum jüdischen Glauben übertreten.
Die Tscherkessin lachte schallend, und Viktor erwartete, daß jeden Augenblick die Tür aufgehen und ihr Mann den Kopf ins Zimmer stecken und ihm freundlich zunicken und zu seiner Frau sagen würde: »Kannst du bitte etwas leiser lachen, ich arbeite.«
»Geh mir mit den Juden, Goldmann«, sagte sie, »hast du vergessen, daß ich deine Tscherkessin bin für die heutige Nacht.«
Viktor erkundigte sich nach dem Originalzitat. Sie wußte es sofort: »Hast du vergessen, daß du mein Sklave bist, für den heutigen Tag« sagte sie. Sie glaube, der Satz sei von Rilke.
»Stehst du auf Sklaven?« fragte Viktor, und es wurde ihm klar, daß er immer noch zu ihren Füßen kauerte.
Sie stieß ihn mit ihren krummen kräftigen Füßen lachend von sich: »Manchmal, du Hund!« Dann glitt sie zu ihm auf den Boden und rieb ihre Nase an der seinen. »Und manchmal bin ich auch gern Sklavin. Das Gedicht hat mir gut gefallen.«
Viktor wehrte ab: »Ein schlechtes Gedicht.«
»Es ist gut, steh dazu, Goldmann«, sagte sie. Es gefiel ihm, daß sie ihn »Goldmann« nannte. »Ich wäre jetzt gern an deiner Kette«, sagte sie und sah dunkler und tscherkessischer aus denn je. Er gönnte sich die Vorstellung, sie auf dem tscherkessischen Sklavenmarkt gesichtet und gekauft und erlöst und ihr dann die Freiheit geschenkt zu haben und riskierte es, ihr diese Vorstellung zu verraten. Sie funkelte ihn an, und er erwartete eine Ohrfeige. Doch sie schmiegte sich an ihn und sagte: »Du dürftest mich nicht gehen lassen, das wäre ein Fehler, Goldmann, du müßtest mich als deine Gefangene halten.« Solche Sätze hatte Viktor noch nie von einer Frau gehört, und es war ihm peinlich, daß er sie aufregend fand, obwohl es ideologisch unkorrekter Sklavenkitsch war, schlüpfrigster Orientalismus.
Viktor konnte seine Lust jetzt nicht mehr verbergen. »Komm«, sagte er und nestelte an ihrem Rock, »was kümmert uns dein Mann, der Scheich will die Sklavin ficken.«
Sie spielte kurz mit, dann stieß sie ihn zurück und sagte: »Goldmann, du mußt jetzt zu deiner Schickse gehen!«
Es war Viertel vor zwei. Sie standen im Flur. Viktor schrieb ihr seine Adresse in Zürich auf. »Ich mag Männer, die keine Visitenkarten haben«, sagte sie und beschrieb ihm den Fußweg zum Hotel. Sie standen im Flur vor dem Spiegel und betrachteten sich und fanden, sie wären ein schönes Paar. »Würde mir eine lila Lederhose stehen«, fragte die Tscherkessin, »und dazu ein Nasenring?«
Da, wo nach Auskunft der Tscherkessin der Taxistand sein sollte, gab es keinen, und es war zehn Minuten vor zwei. Kein Mensch in diesem Pennerstadtteil von Pennerhannover, den man hätte nach dem Weg fragen können. Endlich ein Rechthaber, ziemlich sicher Altnazi, zumindest vor Jahrzehnten an der Ostfront gewesen, der Viktor mißtrauisch die Richtung wies: »Gute halbe Stunde zu Fuß«, sagte er, so als müsse man ein feindliches Minenfeld überwinden. Eine Art, die einem normalerweise für ein bis zwei Stunden die Laune verdirbt und den dünnen Glauben an die Menschheit raubt.
Viktor fing an zu rennen. Rennend würde er leicht in
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