Der Liebessalat
berühmten Wahlverwandtschaftsbetrug. Er war zu müde – und irgendwie war ihm diese Metamorphose auch zu infam, obwohl die Fickphantasien der Frauen die der Männer vermutlich an Dreistigkeit übertrafen.
Sabine merkte, daß Viktor aufgegeben hatte, und machte eine Bemerkung, die er als giftig empfand, obwohl sie vielleicht versöhnlich gemeint war: »Okay, wir sind beide nicht jünger geworden.«
Sekundenlang hatte er das Bedürfnis, sich gegen Sabines gelassene Impotenzunterstellung mit der Wahrheit zur Wehr zu setzen und auszurufen: »Den Mann möchte ich sehen, der nachts um drei über eine Frau herfallen kann, die das mit einer seltsam milden Penetranz von ihm erwartet, obwohl sie leider nicht mehr ganz so sexy ist wie vor einigen Jahren. Und diese Frau erwartet ohne eigenes Zutun Leidenschaft von einem Mann, der gerade eben eine halbe Stunde lang wie ein Blöder durch die Stadt gerannt ist, sich davor heftig in eine schöne Jüdin verliebt und sich mit ihr verabredet hat, der davor vier Viertel Weißwein in sich hineingegossen und eine zweistündige Veranstaltung absolviert hat, der sich davor während einer Zugfahrt in eine weitere Frau mit einem Nasenring verliebt hat, nachdem er zu Beginn des Tages in großer Eile eine Verabredung mit seiner alten Liebsten für übermorgen zu arrangieren hatte – und der all diese Aktivitäten und Gemütsverfassungen auch noch irgendwie mit seiner Ehe auf die Reihe bekommen muß.«
Das alles sagte Viktor nicht, sondern: »Es ist mehr deine Hose als die schöne Jüdin. Nicht, daß es nicht mehr die lila Lederhose ist, ist schlimm, sondern daß es eine graue Jeans ist. Du hast eben gesagt, du kennst meine Bücher ziemlich gut. An mindestens drei Stellen lasse ich Dampf ab gegen diese gräßlichen, häßlichen, rußigen Hosen. Meine Helden hassen diese Hosen.«
»Das kannst du nicht ernst meinen!?« Sabine richtete sich auf, fixierte Viktor und ließ sich wieder resigniert zurückfallen: »Ich glaube, du meinst es ernst. Im übrigen richte ich mich nicht mehr nach den Ansichten deiner geschätzten Helden. Was bildest du dir ein! Ich ziehe an, was ich will, nicht was dir und deinen Figuren gefällt.«
Sie entglitt Viktor jetzt zusehends. Einst war es ihr ein Vergnügen gewesen, ihm zu gefallen, nun begehrte sie gegen seinen Geschmack auf. Sie hatten zu wenig miteinander zu tun gehabt, als daß ihn diese Emanzipation interessierte. Sie wollte ihm etwas heimzahlen.
»Zieh mir die Hose doch aus, wenn sie dir nicht gefällt!« sagte sie nach einer Weile, mit einem schnippischen Ton, der ihn vollends verzweifeln ließ.
Er schüttelte den Kopf: »Die Stimmung ist nicht mehr danach.« Er nahm sich vor, sich nie mehr auf flüchtige erotische Reize einzulassen, nie mehr. Weil er diese Frau, die ihn einmal so königlich lila überrascht hatte, nicht verletzen wollte, weil er gehofft hatte, die alte Lust werde sich vielleicht doch noch wiederherstellen lassen, war er nun einem launischen Wollen und Nichtwollen ausgeliefert, das die Eindrücke des ganzen Tages zu zerstören begann. Auch sich der Nasenring-Bettina so stürmisch zu nähern, war vielleicht ein Fehler gewesen. Er konnte sich plötzlich vorstellen, demnächst auch mit ihr in einer ähnlichen Situation auf dem Bett zu liegen, von plötzlicher Unlust geplagt. Die Formulierung »Das Kippen der Lust« fiel ihm ein, und er hätte jetzt nichts lieber gemacht als ein paar nächtliche Notizen zu diesem traurigen Vorgang. So vollkommen reizlos erschien ihm die von ihren Reizen überzeugte Sabine, daß ihm der Hunger nach Liebe in all ihren Formen nun gründlich verging. Sogar das Bild der Tscherkessin als dem neuen Ideal einer souveränen Sexualität wurde von Sabines unausstehlichem Verdruß getrübt. Der ganze heutige Tag, der ihm mit seinen diversen erotischen Facetten eben noch als einer der anregendsten seines Lebens erschienen war, kam ihm nur noch grotesk vor, und er ahnte, was er von Sabine gleich zu hören bekommen würde – und was sie Sekunden später tatsächlich auch verständnisvoll maulend loswerden mußte: »Euch Dichtern kann man es nie recht machen. Eure Vorstellungen sind euch lieber als die Frau aus Fleisch und Blut, die im Bett neben euch liegt.«
Offenbar war Viktor nicht der einzige Literat, den sie umgarnt hatte. Er fragte nicht nach, obwohl es ihn interessiert hätte. Er fragte nicht nach, weil er sich die Phantasie nicht verderben lassen wollte, an eine Buchhändlerin geraten zu sein, die ständig
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