Der Liebestempel
ganzen Tag geweint, weil mein Daddy tot ist?«
Der allwissende Ausdruck kehrte in die großen grauen Augen zurück. »Oder
vielleicht hat sie überhaupt gar nicht wegen meines Daddys geweint?«
DRITTES KAPITEL
E igentlich hätte ich mich im
Büro des Sheriffs melden sollen, aber ich tat es nicht. Von Sonnenaufgang an
war es ein langer harter Tag gewesen, und ein langer harter Abend stand mir
bevor — hoffte ich wenigstens. Darum fuhr ich nach meinem Besuch im Haus am See
in meine Wohnung, schlief drei Stunden, duschte und rasierte mich und zog
meinen frisch aus der Reinigung geholten Anzug an. Danach nahm ich ein
Tatarsteak zu mir, was zweierlei Vorteile hatte. Erstens spart man damit
elektrischen Strom — weil alles roh bleibt — , und zweitens stärkt es angeblich
die Potenz. Es schmeckt außerdem auch gar nicht so schlecht, aber man darf das
Zeug, solange man es ißt , nicht ansehen, sonst
bekommt man unweigerlich das Gefühl, man müßte sich nun auch noch einen Knochen
quer durch die Nase stecken. Danach machte ich es mir mit einem Drink und einer
Zigarette bequem und wartete darauf, daß es acht Uhr würde.
Ich warf einen prüfenden Blick
in die Runde, und alles schien okay zu sein. Die beiden Tischlampen
verbreiteten gerade so viel Licht, daß niemand mit dem großen Zeh gegen das
Mobiliar zu stoßen brauchte, und der HiFi hatte mit
der ersten Langspielplatte einer langen Reihe anderer begonnen, die sorgfältig
mit Hinblick auf ihre Wirkung als Aphrodisiakum ausgewählt worden waren. Die
Anlage hat fünf Wandlautsprecher, und durch sie schmeichelt sich die Musik in
die Ohren der Leute ein, ohne daß sie bewußt zuhören. Zum Beispiel werden
Besucherinnen mit irgendwelchen Musical-Schlagergrößen empfangen; und dann,
bevor sie wissen, wie ihnen geschieht, wird ihr Herz durch Flamencomusik
entflammt. Ich pflege den Plattenstapel vorher immer genau zu überprüfen — seit
jener schrecklichen Nacht, in der ein dunkelhaariges Mädchen nahe daran war,
sich zu ergeben, und als statt schmelzender Melodien plötzlich Danny Kaye auf
den Plattenteller rutschte. Das Mädchen lag bereits ausgestreckt auf der Couch,
und ich stand aktionsbereit über sie gebeugt. Ich zog mir einen permanenten
Krampf im Kreuz zu, während ich darauf wartete, daß sie zu lachen aufhörte. Sie
hörte nicht auf — jedenfalls nicht in dieser Nacht!
Schätzungsweise fünf Minuten
und dreiundvierzig Sekunden nach acht klingelte es an der Wohnungstür. Ungefähr
zwei Sekunden später öffnete ich und schloß sofort die Augen, weil mir ein
blendender silberner Blitz entgegenfuhr. Aber selbst mit geschlossenen Augen
konnte ich ihn noch wahrnehmen.
»Warum haben Sie’s gerade auf
mich abgesehen?« knurrte ich. »Wenn Sie schon mit einem Irdischen reden müssen,
warum suchen Sie sich dann nicht einen einschlägigen Wissenschaftler aus oder
so was? Sie sind doch wohl nicht aus dem Weltall gekommen, um sich mit einem
schlichten Polypen zu unterhalten?«
»Es ist ein Ausdruck meiner
Persönlichkeit«, sagte eine Stimme mit einem selbstzufriedenen Seufzer. »Sie
werden sich daran gewöhnen.«
Ich öffnete vorsichtig wieder
die Augen, und der silberne Blitz löste sich in den schimmernden Umriß eines
Kleides auf. Und was für ein Kleid das war! Es sah aus, als ob es aus
versilbertem Kunststoff gemacht wäre, war ärmellos und hatte vorn einen vom Halsausschnitt
bis zum Saum reichenden Reißverschluß . Das Ganze
endete nach etwa einem Drittel Schenkellänge; und dazu trug Justine völlig verrückte, dazu passende Silberstiefel. Ihr blondes Haar war
zurückgestrichen und bauschte sich im Nacken zu einer Art enormen Knoten. Bei
ihr sah das gut aus, weil es die kräftig geformten Backenknochen betonte. Ihre
saphirblauen Augen funkelten noch immer, und ihr großzügig geschnittener Mund
erweckte wie zuvor den Eindruck beherrschter Sinnlichkeit. Das war die Art Besuch,
die ich bevorzugte; und mir war es komplett egal, ob bei ihr auf ihrem
Heimatplaneten zum Frühstück Polizeibeamte gegessen wurden, denn vorher lag
noch eine ganze lange Nacht vor uns.
Sie ging vor mir her ins
Wohnzimmer, blieb dort mitten im Raum stehen, sah sich gelassen um und ließ
sich dann auf der Couch nieder. »Gemütlich«, murmelte sie.
»Ich gieße uns was zu trinken
ein«, sagte ich.
»Ausgezeichnet!« sagte sie.
Ich machte also in der Küche
die Drinks zurecht und leistete ihr anschließend auf der Couch Gesellschaft,
aber nicht allzu nahe. Wie die Engländer
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