Der Liebhaber meines Mannes
DIES Freitagabend. Ein höchst befriedigender Tag.
Nachdem ich ein bisschen schwach geworden war, fand ich mich damit ab, dass ich bis Dienstag warten musste. Aber dann. Halb fünf. Schrecklich langweilige Besprechung mit Houghton vorbei. Ich ging durch die Hauptsammlung, dachte flüchtig an Tee und Kekse mit Vanillecremefüllung, aber insbesondere daran, dass es nur noch drei Tage bis Dienstag waren.
Und dann: die unverwechselbare Form seiner Schultern. Mein Polizist stand da, den Kopf zur Seite gelegt, und betrachtete einen eher mittelmäßigen Sisley, den wir vorübergehend als Leihgabe erhalten hatten. Keine Uniform (dieselbe Sportjacke wie letztes Mal). Wunderbar lebendig und wirklich hier, im Museum. Ich hatte ihn mir in den letzten Tagen so oft vorgestellt, dass ich mir ungläubig die Augen rieb, wie es Mädchen in Filmen tun, wenn sie etwas nicht fassen können.
Ich ging auf ihn zu. Er drehte sich um und sah mich direkt an, dann zu Boden. Ein bisschen verschämt. Als wäre er ertappt worden. DUM-De ging mein trochäisches Herz.
»Runde beendet?«, fragte ich.
Er nickte. »Dachte, ich guck noch mal. Um zu sehen, womit meine Visage mithalten muss.«
»Willst du heraufkommen? Ich wollte gerade Tee trinken.«
Wieder sah er zu Boden. »Ich will nicht, dass du meinetwegen Schwierigkeiten bekommst.«
»Keine Schwierigkeiten«, sagte ich und ging schon voraus zu meinem Büro.
Ich brachte ihn hinein, nickte zustimmend, als Jackie anbot, Tee zu bringen, und ignorierte ihren interessierten Blick. Er setzte sich in den Sessel. Ich hockte auf der Schreibtischkante. »Und hast du was Interessantes gesehen?«
Er zögerte nicht mit der Antwort. »Ja. Da ist eins von einer Frau, hat nichts an, sitzt auf einem Felsen, ihre Beine sind wie von einer Ziege …«
»Satyrn. Französische Schule.«
»Das war ziemlich interessant.«
»Warum?«
Er blickte wieder zu Boden. »Na ja, Frauen haben keine Ziegenbeine, oder?«
Ich lächelte. »Das ist eine mythologische Sache … von den alten Griechen. Sie ist eine Kreatur, die Satyr genannt wird, nur halb Mensch …«
»Ja. Aber ist das nicht alles nur eine Ausrede?«
»Eine Ausrede?«
»Kunst. Ist es nur eine Ausrede um – na ja, nackte Menschen anzugucken? Nackte Frauen.«
Diesmal sah er nicht nach unten, sondern blickte mich so forschend an, die kleinen Augen so klar und blau, dass ich wegsehen musste.
»Na ja«, ich rückte meine Manschetten zurecht. »Also, es gibt sicherlich eine Leidenschaft für die menschliche Form – die Körper – und ja, manchmal eine Verherrlichung der Schönheiten des Fleisches, ich glaube, man könnte sagen – männliche und weibliche …«
Ich warf ihm einen Blick zu, aber ausgerechnet in dem Moment kam Jackie mit dem Teewagen herein. Sie trug ein narzissengelbes Kleid mit eng anliegender Taille. Dazu passende gelbe Schuhe. Eine Kette aus gelben Perlen. Man war fast geblendet. Ich sah, dass mein Polizist diese goldene Erscheinung mit einigem Interesseregistrierte. Aber dann sah er mich wieder an und da war das leichte, fast versteckte Grinsen.
Jackie, die nicht sah, dass wir Blicke austauschten, sagte: »Schön, Sie wiederzusehen, Mr …«
Er sagte ihr seinen Namen. Sie reichte ihm seinen Tee. »Sie lassen sich porträtieren?«
Seine Wangen röteten sich. »Ja.«
Es entstand eine kurze Pause, als sie die Untertasse festhielt und aussah, als wollte sie noch weiterbohren.
Ich stand da und hielt die Tür auf. »Danke, Jackie.«
Mit einem verkrampften Lächeln schob sie den Teewagen hinaus.
»Tut mir leid.«
Er nickte, schlürfte seinen Tee. »Du sagtest gerade etwas.«
»Tatsächlich?«
»Über nackte Körper?«
»Oh, ja.« Ich nahm wieder auf der Ecke des Schreibtisches Platz. »Ja. Hör zu, wenn es dich wirklich interessiert, zeige ich dir einige interessante Beispiele.«
»Jetzt?«
»Wenn du Zeit hast.«
»In Ordnung«, sagte er, während er sich einen zweiten Keks nahm. Er isst schnell, sogar geräuschvoll. Den Mund leicht geöffnet. Genussvoll. Ich hielt ihm den Teller hin. »Nimm so viele, wie du willst«, sagte ich. »Dann zeige ich dir was.«
Wir hatten noch eine halbe Stunde bis zur Schließung und ich beschloss, zum Kern der Sache zu kommen: dem bronzenen Ikarus. Wir gingen schweigend nebeneinander, bis ich sagte: »Ich will nicht unhöflich sein, aber ist es nicht ungewöhnlich für einen Polizisten, sich für Kunst zu interessieren? Glaubst du, dass es einem von deinen Kollegen auch so geht?«
Er lachte los.
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