Der Liebhaber meines Mannes
nieder. Jackie kam mit dem Tee herein und wir sahen beide schweigend zu, wie sie zwei Tassen einschenkte. Sie blickte hinüber zu meinem Polizisten, sah dann mich an, ihr langes Gesicht blieb völlig unbewegt. Sie ist meine Sekretärin, seitdem ich hier im Museum bin, und hat nie irgendein Interesse an meinen Privatangelegenheiten gezeigt, genau das gefällt mir an ihr. Heute war wie jeder andere Tag. Sie stellte mir keine Fragen, zeigte keine Spur von Neugierde. Jackie ist in jeder Hinsicht tadellos, nicht ein Haar ist unordentlich, der Lippenstift sorgfältig aufgetragen, und sie ist tüchtig, ohne Aufhebens davon zu machen. Gerüchten zufolge hat sie ihren Liebsten bei der Tuberkuloseepidemie vor einigen Jahren verloren und deshalb nie geheiratet. Manchmal höre ich sie mit den anderen Mädchen lachen und da ist etwas an dem Lachen, das mich ein wenig irritiert –ein Geräusch so ähnlich wie Rauschen im Radio –, aber Jackie und ich machen selten einen Witz. Sie hat sich kürzlich eine neue Brille gekauft mit kleinen Strassverzierungen an den Flügeln des Gestells, was ihr ein ungewöhnliches Aussehen verleiht, irgendetwas zwischen Glamourkönigin und Schuldirektorin.
Als sie sich über den Teewagen beugte, beobachtete ich das Gesichtmeines Polizisten und bemerkte, dass er ihre Bewegungen nicht mit den Augen verfolgte.
Als sie gegangen war, legte ich mit einem langen Vortrag los. Ich sah dabei aus dem Fenster, damit ich meinen Polizisten nicht ansehen musste, während ich mein fingiertes Projekt umriss. »Du willst wahrscheinlich ein bisschen mehr über diese ganze Porträtsache wissen«, begann ich. Dann redete ich weiter, weiß der Himmel wie lange, beschrieb meine Pläne, gebrauchte Wörter wie »demokratisch«, »neue Perspektive« und »Vision«. Die ganze Zeit wagte ich nicht, ihn anzusehen. Ich wollte nur, dass sich sein kräftiger Körper in den abgenutzten Kissen entspannte, und so redete ich immer weiter und hoffte dabei, dass meine Worte ihn beruhigen würden.
Als ich fertig war, entstand eine Pause, bevor er seine Tasse hinstellte und sagte: »Ich bin noch nie gemalt worden.«
Ich sah ihn an, sah sein Grinsen, den geöffneten weichen Kragen seines Hemdes, seine Haare auf meinem Sesselschoner. Ich sagte: »Nichts dabei. Du musst nur still halten.«
»Wann fangen wir an?«
Ich hatte nicht mit seinem Eifer gerechnet. Ich hatte gedacht, wir würden uns einige Male treffen, bevor wir tatsächlich anfangen würden zu arbeiten. Ein bisschen Zeit zum Aufwärmen. Ich hatte nicht einmal Malzeug mitgebracht.
»Wir haben schon angefangen«, sagte ich.
Er sah verwirrt aus.
»Sich näher kennenzulernen gehört dazu. Ich werde erst mal noch keine Skizzen machen. Es ist wichtig, dass wir vorher eine Beziehung aufbauen. Uns gegenseitig ein bisschen kennen. Nur dann bin ich in der Lage, deine Persönlichkeit in eine Zeichnung zu übertragen …« Ich hielt inne, fragte mich, ob ich mit dieser Argumentation durchkam. »Ich kann dich nicht zeichnen, wenn ich nicht weiß, wer du bist. Verstehst du?«
Er blickte kurz zum Fenster. »Also heute keine Skizzen?«
»Keine Skizzen.«
»Scheint ein bisschen … seltsam.«
Er sah mich direkt an und ich sah nicht weg.
»Die übliche Verfahrensweise«, sagte ich. Dann lächelte ich und fügte hinzu, »also, meine Verfahrensweise jedenfalls.« Angesichts seines überraschten Ausdrucks hatte ich das Gefühl, ich sollte am besten ohne Rücksicht weitermachen. »Sag mal«, sagte ich, »bist du gerne Polizist?«
»Gehört das auch zum Verfahren?« Er grinste ein bisschen und rutschte auf seinem Sitz.
»Wenn du so willst.«
Er lachte kurz. »Ja. Ich glaube schon. Es ist eine gute Arbeit. Besser als die meisten anderen.«
Ich nahm ein Stück Papier und ergriff einen Bleistift, um einen professionellen Eindruck zu machen.
»Es ist gut zu wissen, dass ich etwas tue«, fuhr er fort. »Für die Allgemeinheit. Leute beschützen, weißt du.«
Ich schrieb »beschützen« auf meinen Zettel. Ohne aufzusehen, fragte ich: »Was machst du sonst?«
»Was sonst?«
»Außer deinem Job.«
»Oh.« Er überlegte einen Moment. »Ich schwimme. Im Meer-Schwimmclub.«
Das erklärte die Schultern. »Auch um diese Jahreszeit?«
»Jeden Tag im Jahr«, erklärte er mit unverhohlenem Stolz. Ich schrieb auf »Stolz«.
»Was ist nötig, um ein guter Schwimmer zu sein, was meinst du?«
Ohne zu zögern, antwortete er: »Liebe zum Wasser. Du musst gerne drin sein.«
Ich stellte mir vor, wie
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