Der Liebhaber meines Mannes
Gymnastik. Zumindest in der Hinsicht war die Army nützlich für mich. Und ich habe noch nicht ein einziges graues Haar auf dem Kopf. Ich bin nie auf diese Äußerlichkeiten fixiert gewesen, aber ich habe sie unter Kontrolle. Ich war bereit. Ich sah ziemlich elegant aus, fand ich. Ich war – in meinem Kopf war das bereits eine eigene Realität geworden – ein Künstler, der gerade mit einem gewagten neuen Porträtprojekt beginnen wollte.
Ich näherte mich der Bar und vermied es, jemanden anzusehen. Ich muss einen Drink in der Hand haben, bevor ich dazu in der Lage bin. Die Misses Brown saßen wie gewöhnlich auf ihren hohen Hockern hinter der Bar. Die Jüngere – die mittlerweile bald sechzig sein muss – zählt die Einnahmen. Die Ältere begrüßt die Herren und schenkt die Drinks ein. Sie trägt einen hohen Spitzenkragen und raucht einen langen Zigarillo. Sie begrüßte mich, erinnerte sich an meinen Namen.
»Und wie geht es Ihnen?«
»Oh, ganz passabel.«
»Wie mir, wie mir.« Sie lächelte warm. »Wunderbar, Sie wieder hier zu sehen. Einer der Jungs wird Ihre Bestellung aufnehmen.«
Die ältere Miss Brown ist berühmt dafür, Botschaften zwischen ihren Gästen weiterzuleiten. Man schiebt ihr die Nachricht überden Tresen und sie gibt sie an den angesprochenen Herrn weiter. Wenn er an dem Abend nicht kommt, bewahrt sie die Nachricht hinter einer Flasche Crème de Cacao auf dem unteren Bord auf. Es sind immer ein paar neue Zettel hinter der Flasche. Nie wird ein Wort dabei gesprochen; die Nachricht wird bloß mit dem Wechselgeld übergeben.
Die Herzogin von Argyle, wie er genannt wird, nahm meine Bestellung, einen trockenen Martini, entgegen und führte mich zu einem Tisch an dem mit schweren Vorhängen versehenen Erkerfenster. Sein Gesicht war gepudert und seine rote Jacke saß wie immer sehr eng und war gerade noch an der Grenze zur Uniform. Nach ein paar Schlucken entspannte ich mich und sah mich um. Ein paar Gesichter erkannte ich. Bunny Waters, gepflegt wie immer, saß an der Bar, trug leuchtend weiße Hemdsärmel, einige goldene Armreifen und eine kastanienbraune Weste. Er nickte erkennend in meine Richtung, hob das Glas und ich erwiderte die Geste. Ich habe einmal an einem Neujahrstag zugesehen, wie er mit dem bestaussehenden Jungen Foxtrott um die Tanzfläche tanzte. Jetzt frage ich mich, ob es Wirklichkeit war, dieses Bild zweier hübscher dunkelhaariger Männer, die durch den Raum glitten. Jeder bemerkte sie, jeder bewunderte sie, aber niemand hielt es für notwendig, sich das Geringste anmerken zu lassen. Es war ein begnadeter Moment. Wir alle stimmten wortlos überein, dass es schön war, und selten, und dass nicht darüber gesprochen werden musste. Wir benahmen uns, als wäre es das Normalste auf der Welt. Später hörte ich, dass Bunny an dem Abend im Queen of Clubs war, als dort eine Razzia stattfand, angeblich weil sie keine Lizenz für Abendessen hatten. Irgendwie entging er dem ganzen Spektakel mit der Presse, den Angestellten und so weiter und wurde nicht angezeigt. Andere hatten nicht so viel Glück.
An einem Tisch nicht weit von meinem saß Anthony B. Ich bin sicher, dass Charlie in dem Jahr, bevor er nach London zog, einekurze Affäre mit ihm hatte. Er nannte ihn Anton. Er sieht genau so seriös aus wie immer – las gerade die Times, die Haare ein bisschen grauer, und blickte immer wieder zur Tür, aber er wäre in jedem Club wie zu Hause. Hat immer noch dieselben roten Wangen. Rote Wangen haben bei seriösen Männern etwas Anziehendes. Vielleicht eine Andeutung, dass das Fass überläuft. Dass er seine Gefühle nicht immer beherrschen kann. Dass unter dem beherrschten Äußeren viel Temperament steckt; Temperament, das irgendwann herauswill.
Ich glaube nicht, dass ich seit der Schulzeit rot geworden bin. Damals litt ich sehr darunter.
Kühles, nasses Gras,
sagte Charlie immer zu mir.
Denk daran. Leg dich einfach hinein.
Es hat nie funktioniert. Einer der Sportlehrer nannte mich »Streber mit roter Birne«. »Vorwärts, Hazlewood. Streng dich an, warum tust du es nicht. Du kannst nicht dein ganzes Leben ein Streber mit roter Birne bleiben, oder?« Gott, ich hasste ihn. Ich träumte immer davon, Säure in sein riesiges verschwitztes Gesicht zu schütten.
Ich bestellte noch einen Martini.
Ungefähr um zehn kam ein junger Mann herein. Braune Haare, die so kurz und drahtig waren, dass es aussah wie ein Fell. Ein schmales Gesicht und ein stämmiger, hübscher kleiner Körper. Alle
Weitere Kostenlose Bücher