Der Lilienpakt
und das Fechten hatte eine lange Tradition in unserer Familie. Meine Vorfahren hatten bereits im Hundertjährigen Krieg neben dem König gekämpft. Meine Brüder würden die lange Reihe hervorragender Fechter aus unserer Familie fortsetzen. Mein Vater plante, sie mit Ausnahme meines ältesten Bruders Bernard, der sein Erbe war, der berühmten Garde du corps du roi beitreten zu lassen. Ihr hatte mein Vater als junger Mann angehört.
Doch was würde mir, der einzigen Tochter, bleiben? Nichts anderes als Heirat und Langeweile! Mit meinen vierzehn Jahren hatte ich bereits eine genaue Vorstellung davon, wie trist mein Leben verlaufen würde. Andere Mädchen in meinem Alter waren bereits verheiratet und erwarteten Kinder. Das war aber nicht das Leben, das ich mir erträumte. Ich wollte Abenteuer erleben, Geheimnisse entdecken und vielleicht auch ferne Länder bereisen. Mit Ehemann und Kindern am Rockzipfel war das nicht möglich.
Ich versuchte also, meinen Eltern bei jeder passenden Gelegenheit zu beweisen, dass ich noch nicht reif für die Ehe war. Ich spielte Streiche, kletterte auf Bäume und lungerte im Fechtsaal herum. Die Fechtübungen meiner Brüder ahmte ich während der Handarbeitsstunde mit der Nadel nach. Meine Gouvernante beschwerte sich deswegen regelmäßig bei meinem Vater.
»Dauernd fuchtelt sie mit den Nadeln herum, Monsieur le Comte! Erst gestern hat sie mich wieder im Vorbeigehen gestochen.«
Als ich zur Rede gestellt wurde, gab ich mich reuevoll, doch insgeheim freute ich mich diebisch darüber, dass sie wie ein Huhn gackernd in die Höhe gefahren war.
Wenige Tage später, als Madame Poussier am wenigsten damit rechnete, setzte ich erneut zum Angriff an. Ich sprang plötzlich auf, nahm Kampfhaltung an und stürmte mit der Nadel in der Hand und wilden Kampfesrufen voran. »Nimm das, elender Spion! Und das! Es lebe der König!«
Madame Poussier starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren, und bekreuzigte sich dann hastig. Abends beschwerte sie sich dann wieder bei Papa.
Als ihm die Klagen meiner Gouvernante schließlich zu viel wurden, zitierte er mich zu sich in sein Studierzimmer. Es war ein schöner, mit rotem Holz getäfelter Raum, an dessen Wänden ebenfalls Schwerter und Degen hingen.
Als ich eintrat und fasziniert zu den Waffen blickte, räusperte sich mein Vater und erhob sich hinter seinem Schreibtisch. Seine dunklen Kleider und das von Silberfäden durchzogene schwarze Haar ließen ihn sehr würdevoll wirken. Er blickte mich streng an, doch mir entging nicht, dass der Spitzbart an seinem Kinn zu zucken begann und die Falten um seine braunen Augen tiefer wurden. Das waren bei ihm sichere Anzeichen für ein Lächeln. Da er mir das aber nicht zeigen wollte, begann er, mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor mir auf und ab zu gehen.
»Alors, Christine. Du weißt sicher, warum ich dich gerufen habe.«
»Ja, Papa.«
»Nun, dann erkläre mir doch bitte, was es mit deinem Ungehorsam auf sich hat. Madame Poussier hat in dieser Woche nicht weniger als zwölf Nadelstiche von dir bekommen und weigert sich nun, dich weiter zu unterrichten.«
Recht so! Sollte sie es doch aufgeben, aus mir eine Dame machen zu wollen. Dann brauchte ich auch nicht zu heiraten.
»Sag mir, tust du das aus Bosheit oder Trotz?«, fragte er weiter, als meine Antwort ausblieb.
»Nein, Papa, aus keinem der beiden Gründe«, entgegnete ich kleinlaut.
»Und warum führst du dich so auf?«
»Weil …« Sollte ich es wagen? Ich hörte auf mein Herz und fuhr fort: »Weil ich fechten lernen möchte!«
Mein Vater hielt inne, dann drehte er sich langsam zu mir um.
»Du willst fechten lernen?«
Ich nickte inbrünstig, wagte aber nicht zu hoffen, dass sich mein Wunsch erfüllen würde. Stattdessen würde Papa mir sicher gleich einen Vortrag über die wahren Pflichten einer Frau halten.
»Fechten ist kein Spiel«, begann er seufzend. »Deine Mutter würde es nicht gern sehen, wenn ich es dir erlaube.«
»Papa, ich …«, setzte ich an, doch er brachte mich mit einer raschen Handbewegung zum Schweigen.
»Es ist nicht die Bestimmung einer Frau, zu kämpfen!«
»Aber wohl die, sich zu Tode zu langweilen!«, platzte es aus mir heraus, was ich sogleich bereute, als mich erneut ein strenger Blick traf. »Verzeiht, Papa, ich wollte nicht …«
Mein Vater schnaufte. »Ich müsste dir eigentlich zürnen, aber ich weiß wohl, dass sich dein Ungestüm nur schlecht bezähmen lässt. Du kannst nichts für das Erbe
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