Der Lilienpakt
deiner Vorfahren, das sich augenscheinlich auch in dir offenbart.« Er blieb stehen, seufzte und sah mich dann an. Sein Blick hatte sich verändert. Er war nun nicht mehr streng, sondern eher – stolz!
»Wenn du mir versprichst, die arme Madame Poussier nicht weiter mit der Nadel und deinem Desinteresse zu traktieren, werde ich in Erwägung ziehen, dir das Fechten beibringen zu lassen.«
Ich starrte ihn fassungslos an. »Ist das Euer Ernst?«
Mein Vater nickte, dann lächelte er so breit, als bereite es ihm diebische Freude, dass das Erbe der Degen nun auch in mir aufgehen würde.
Mit einem freudigen Aufschrei fiel ich ihm um den Hals. »Danke, Papa, vielen Dank. Ihr wisst nicht, was das für mich bedeutet!«
»Was ist mit deinem Versprechen?«
»Ich verspreche, nein, ich schwöre, dass ich Madame Poussier nie wieder stechen werde! Und ich werde auch sticken, so gut ich kann.«
Mein Vater löste sich sanft von mir und legte mir die Hände auf die Schultern. »Mach mir keine Schande im Unterricht von Maître Nancy! Höre auf seine Ratschläge und sei gelehrig. Und wehe, mir kommt noch eine Klage von deiner Gouvernante zu Ohren! Du wirst auch ihrem Unterricht folgen und versuchen, so kunstfertig wie möglich zu werden! Wenn nicht, wird es das letzte Mal gewesen sein, dass du einen Degen in der Hand hältst.«
In diesem Augenblick hätte ich ihm alles versprochen.
Am gleichen Abend belauschte ich ein hitziges Gespräch zwischen Papa und Maman. Natürlich hielt sie nichts davon, dass ich eine Waffe in die Hand nahm.
»Was, wenn sie verletzt wird?«, hielt sie meinem Vater vor. »Wenn sie sich einen Kratzer im Gesicht holt? Die Verantwortung dafür können wir nicht übernehmen.«
»Keine Sorge, sie wird sich nicht verletzen. Außerdem schadet ihr ein wenig Körperertüchtigung nicht. Sie ist ohnehin ein Wildfang und regt damit nur die arme Madame Poussier auf.« Papa machte eine kurze Pause, dann fügte er hinzu: »Und vielleicht wird ihr das Fechten eines Tages von Nutzen sein.«
Dem Schweigen, das auf seine Worte folgte, maß ich keine Bedeutung bei. Meine Mutter fügte sich, und am nächsten Morgen fand ich einen Degen neben meinem Bett, eingepackt in ein Futteral aus feinem Damast. Eine einfache, etwas leichtere Waffe, nicht zu vergleichen mit den Prachtstücken im Fechtsaal, doch für mich war es die schönste Klinge der Welt.
Noch am gleichen Tag stand ich ebenso wie meine Brüder Maître Nancy gegenüber. Der hochgewachsene Mann mit dem halblangen, graumelierten Haar und dem Ziegenbart am Kinn musterte mich von Kopf bis Fuß und ließ mich dann den Degen ziehen. Dann gingen wir die ersten Bewegungen durch. Ich wusste nicht, was der Fechtmeister von mir dachte, doch wenn es ihm missfiel, ein Mädchen zu unterrichten, verbarg er es.
Von nun an ließ ich, wie ich es Papa versprochen hatte, Madame Poussier in Ruhe. Ich bemühte mich redlich, die von ihr geforderten Handarbeiten zu fertigen, wenngleich mein Talent, mit dem Degen umzugehen, weitaus größer war.
Eines Tages belauschte ich den Fechtmeister, wie er mit meinem Vater sprach. »Sie kämpft beinahe besser als Eure Söhne. Es ist ein Jammer, dass sie ein Mädchen ist. Monsieur de Troisville hätte an einem Kämpfer wie ihr seine helle Freude.«
Ich hielt mich für das glücklichste Mädchen der Welt und ahnte dabei nicht, welches Geheimnis es in unserer Familie gab. Für mich gab es nur das Bestreben, mein Können in der Fechtkunst zu vervollkommnen – und so lange wie möglich der Heirat zu entgehen, die ich so sehr fürchtete.
Doch das Unheil näherte sich uns wie ein Unwetter einem Landstrich. Leise und erst dann erkennbar, wenn es mit aller Macht zuschlägt.
2
Drei Jahre waren seitdem vergangen. Wir schrieben das Jahr 1643. Meine Fechtkünste hatten sich weiter verbessert und von Heirat war keine Rede mehr. Madame Poussier traktierte mich immer noch wöchentlich mit ihrem Handarbeitsunterricht, doch sie hatte wohl eingesehen, dass ich für meine Stickereien nie berühmt werden würde.
Anfang Mai kündigte sich Besuch an – ein seltenes Ereignis in unserem Schloss, denn wir waren keine besonders reiche Adelsfamilie und konnten uns auch nicht der besonderen Gunst des Königshauses rühmen. Wir wurden beinahe nie zu irgendwelchen Anlässen eingeladen und gaben auch selbst keine Empfänge oder Bälle. Wenn sich Besucher einfanden, waren es meist ehemalige Waffenbrüder meines Vaters.
Rodolphe Blanchet gehörte dazu. Noch immer diente er
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