Der Lilienring
Valerian nicht, Marie-Anna. Tun Sie das nie! Es ist richtig, er ist die Ehe mit Ursula Becker damals aus überwiegend geschäftlichen Gründen eingegangen. Ob und wie weit er je Zuneigung für sie empfunden hat, weiß ich nicht. Aber zu jener Zeit war
das Handelshaus auf Grund gewisser Fehler, die der alte Raabe begangen hatten, ziemlich heruntergekommen. Um es zu sanieren, heiratete Valerian eine reiche Mitgift. Sie hat sich auch als Danaergeschenk erwiesen – eine halb marode Mühle. Doch er bekam sie in kurzer Zeit wieder flott, und aus den Einnahmen schaffte er es, auch das Handelsgeschäft wieder in Schwung zu bringen.«
»Mir wurde es anders geschildert. Die Mühle sei es, die ihn mit dem Kapital für seine Sammlungen versorgt. Von seinen geschäftlichen Problemen wusste ich nichts.«
»Heute mag es so sein, dass er die Gewinne aus der Mühle für diese Zwecke verwendet. Aber wenn Ursula Raabe glaubt, damit ihren Mann in der Hand zu haben, täuscht sie sich gewaltig.«
»Es gibt noch andere Dinge, mit der eine Frau ihren Mann erpressen kann.«
»Natürlich. Sie spielen auf seine gelegentlichen Liebschaften an?«
Marie-Anna zuckte mit den Schultern.
»Sie haben wieder Kontakt mit den Leuten vom Theater aufgenommen und das eine oder andere erfahren, nehme ich an.«
»So ist es.«
»Nehmen Sie die Affären nicht so wichtig. Wenn es das ist, womit sie ihn versucht zu beeinflussen, könnte es sein, dass Madame hier zu weit geht.«
»Nun, ich wollte Ihnen nur rechtzeitig von den Entwicklungen Kenntnis geben, Monsieur Faucon. Im Übrigen ist ein Rosenkranz verschwunden, und nach einem kleinen Reliquiar aus Bergkristall halte ich noch Ausschau.«
»Haben Sie die Beschreibungen?«
»Hier sind sie.«
»Geben Sie Raabe Bescheid?«
»Selbstverständlich.«
»Gut, teilen Sie ihm mit, wir werden noch ein wenig abwarten, bevor diese Dinge bekannt werden. Wie Sie wissen, wird Seine Majestät, der Kaiser Anfang November die Stadt besuchen.«
»Nein, das ist mir bislang nicht bekannt gewesen. Aber auf dem Lande war ich ein wenig nachlässig mit der Zeitungslektüre.«
»Nun ja, verständlich. Aber wie Sie sich vorstellen können, ist dieser Besuch natürlich für unsere aufrührerischen Freunde ein Ereignis, das sie kaum ungenutzt verstreichen lassen werden. Wir hingegen werden mit erhöhter Wachsamkeit reagieren und vielleicht des einen oder anderen Rädelsführers habhaft werden.«
»Ich verstehe. Aber da gibt es noch etwas, das möglicherweise von Interesse ist. Doch in diesem Fall muss ich Sie um äußerste Diskretion bitten.«
»Sie machen mich neugierig, Marie-Anna.«
»Es ist nichts Ehrenrühriges, es handelt sich eher um Pietät, Monsieur.«
Marie-Anna berichtete von dem Grabfund und dem verschwundenen Ring.
»Ich denke, Ihre letzte Schlussfolgerung ist richtig. Es wird jemand der Versuchung nicht widerstanden haben können, ein Erinnerungsstück aus dem Grab mitzunehmen. Dennoch nehme ich die Beschreibung des Ringes auf. Und nun verraten Sie mir, ob Madames Empfangstag weiterhin der Dienstag ist.«
»Ich habe nichts Gegenteiliges gehört. Nur, ich werde daran nun nicht mehr teilnehmen. Rosemarie hingegen werden Sie allerdings antreffen«, erwähnte sie mit einer Andeutung von Lächeln.
Er gab es ihr zurück und nickte.
»Nun, ich werde kommen und gegebenenfalls nach
Ihnen rufen lassen. Was hat Madame eigentlich zu dem Vorwurf der Hochstapelei inspiriert?«
»Meine schmuddeligen Theaterfreunde, aus deren Kreisen dieses Flittchen vor Ihnen hier stammt.«
»Wir werden sehen, was sich da tun lässt, Mademoiselle de Kerjean, Tochter der Denise D’Angoulmême.«
»Woher wissen Sie denn das?«
»Erkundigungen einzuziehen ist meine Aufgabe. Übrigens lebt Cosmea Raabe tatsächlich in Bordeaux, sie ist von Professor Klein geschieden und nun rechtsgültig mit Jacques Roissaint verheiratet. Er war nach der Übernahme der Stadt durch unsere Truppen Colonel einer hier stationierten Einheit, hat aber bald darauf quittiert und ist mit einer deutschen Frau auf das elterliche Gut gezogen. Es heißt, er sei recht wohlhabend und vergöttere seine Familie.«
»Arme Rosemarie. Cosmea hätte sie mitnehmen sollen.«
»Eine gewisse Rücksichtslosigkeit ist allen Raabes eigen, Marie-Anna. Das sollten Sie nie vergessen. Von Cosmea heißt es, sie sei eine sehr lebenshungrige Frau. Ihrem Bruder im Übrigen nicht unähnlich.«
Faucon erlaubte sich eine winzige Andeutung eines Lächelns in Richtung Marie-Anne. Sie
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