Der Lilienring
geweilt.«
»Wie Sie zu glauben belieben, Madame.«
»O nein, ich glaube nicht, ich habe Beweise. Französische Adlige, was? Mademoiselle de Kerjean, was? Ein Theaterflittchen sind Sie! Darum hat es jetzt ein Ende, sich hier groß aufzuspielen. Sie werden zukünftig auf Ihrem Zimmer essen. Ihre Anwesenheit bei meinem »Jour fixe« ist unerwünscht, Ausflüge mit meiner Tochter sind nicht mehr erlaubt, und bei den Konversationsstunden wird meine Schwägerin Sie beaufsichtigen. Haben wir uns verstanden?«
»Selbstverständlich.«
»Und wenn ich noch einmal mitbekomme, dass Sie an Ihren freien Tagen das Theater aufsuchen, um sich mit Ihren schmuddeligen Freunden zu treffen, werde ich Ihnen den Lohn streichen.«
»Kann ich jetzt gehen, Madame?«
»Verschwinden Sie aus meinen Augen!«
Madame hatte Ernst gemacht. Es gab für Marie-Anna keine Möglichkeit, mit Rosemarie oder Graciella alleine zu sprechen. Es war Berlinde, die bei den Unterrichtsstunden anwesend war und jedes unpassende Wort notierte. Ihre Französischkenntnisse waren zwar nicht überwältigend, und sie sprach es mit einem grauenhaften Akzent, aber im Großen und Ganzen konnte sie einer Konversation folgen. Während ihrer Arbeit an der Sammlung saß nun Professor Klein mit im Arbeitszimmer und rief seine Tochter und Marie-Anna jedes Mal zur Ordnung, wenn sie einen Satz miteinander wechselten, der nichts mit den zu bearbeitenden Gegenständen zu tun hatte. Das Teetablett gehörte ebenfalls der Vergangenheit an.
Doch als Marie-Anna am Mittwoch nach dem Unterricht in ihr Zimmer kam, fand sie unter ihrer Haarbürste einen klein zusammengefalteten Umschlag. Graciella hatte ihr geschrieben. Auch sie hatte das Strafgericht ereilt, ebenso Rosemarie. Aber tröstend schloss das Brieflein: »Papa wird das schon wieder in Ordnung bringen!«
Marie-Anna hoffte es. Doch ganz sicher war sie sich des Einflusses von Ursula Raabe auf ihren Mann nicht. Er hatte sich nach dem Herbstball als überraschend stark herausgestellt. Sie fürchtete weniger die Offenbarungen aus ihrer Vergangenheit, die Umstände ihres Lebens kannte der Hausherr sowieso besser als Madame. Aber die inzwischen eingetretene freundschaftliche Beziehung zwischen ihnen würde ihr ein mächtiger Dorn im Auge sein. So gesehen war vermutlich ihres Bleibens in diesem Haushalt nicht mehr viel länger. Faucon würde es erfahren müssen. So schnell wie möglich. Auch, dass ein weiterer Wertgegenstand verschwunden war, ein sehr fein gearbeiteter Rosenkranz aus Amethystperlen mit einem passenden goldenen Kreuz.
Am Donnerstagnachmittag machte sie sich also auf den Weg zur Préfecture. Madame hatte nicht verhindern können, dass sie das Haus verließ, aber sie hatte ihr noch einmal die Warnung mit auf den Weg gegeben, sich ja vom Theater fern zu halten.
»Marie-Anna, Sie sehen wohl aus!«, begrüßte Faucon sie.
»Unzivilisiert, braun wie eine Zigeunerin. Völlig verwildert und bäuerisch. Wie es einer Hochstaplerin meiner undurchsichtigen Vergangenheit entspricht.«
»Haben Sie sich mit Raabe angelegt?«
»Mit Madame.«
Faucon schüttelte unwillig den Kopf.
»Etwas Diplomatie könnte gelegentlich auch Ihnen das Leben leichter machen.«
»In diesem Fall ist es schwierig. Ich verhalte mich so still wie möglich, aber alleine mein Anblick stört Madame. Darum ist es mir auch nicht mehr so ohne weiteres möglich, Ihrem Auftrag nachzukommen, Monsieur Faucon.«
»Wie steht der Kommerzialrat zu der Situation?«
»Er kennt sie noch nicht. Er wird erst morgen oder übermorgen zurückerwartet.«
»Sie hatten vor den Ferien ein recht gutes Verhältnis zu ihm entwickelt, wie mir schien.«
»Ja, das schon. Es hat auch auf dem Lande nicht gelitten. Aber ich fürchte, Madame hat ihn auf irgendeine Weise in der Hand.«
»Wie kommen Sie darauf?«
Marie-Anna erzählte von dem Herbstball und Rosemaries Deutung seiner ehelichen Beziehung.
»Offensichtlich gab oder gibt er Frau Raabe das Recht, Einfluss auf seine Handlungen und sein Verhalten zu nehmen. Aus diesem Grund befürchte ich, es bleibt ihm über kurz oder lang nichts anderes übrig, als mich aus dem Haus zu werfen.«
»Ich war der Meinung, sie hielten Valerian Raabe für einen integeren Mann?«
»Monsieur, das ist er, doch unter dem – pardon – Pantoffel einer Frau wie dem Madames...«
Marie-Anna musste erleben, wie Faucon, den sie nur als sehr ernsten, fast strengen Mann kennen gelernt hatte, schallend auflachte.
»Unterschätzen Sie
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