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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Ausstrahlung von Achtbarkeit und Ehre?«
    »Hängen die an der Länge des Bartes, Madame?«
    Valerian Raabe war äußerst gut gelaunt und zu Scherzen aufgelegt, doch Madame war es nicht. Sie erspähte Marie-Anna und fuhr sie sofort an: »Was haben Sie hier zu suchen? Habe ich nicht ausdrücklich befohlen, dass Sie auf Ihrem Zimmer zu bleiben haben, Mamsell?«
    »Hat Marie-Anna sich etwas zu Schulden kommen lassen, Ursula?«
    »Wir sprechen noch darüber, Raabe! Und Sie, verschwinden Sie jetzt aus dem Salon. Die Bel-Etage ist tabu für Ihresgleichen.«
    Marie-Anna zog ihren Shawl zurecht und wollte hocherhobenen Hauptes den Raum verlassen, aber Valerian Raabe hielt sie sacht am Ellenbogen fest. Seine tonlose Stimme war äußerst bestimmt.
    »Marie-Anna, bleiben Sie hier! Dies ist mein Haus,
und ich bestimme, wen ich um mich haben möchte. Ihre Gesellschaft ist mir angenehm. Gehen wir zu Tisch?«
    Er reichte ihr jetzt den Arm und führte sie, ohne auf seine Frau zu achten, in das Speisezimmer. Mathilda, die das beobachtete, schubste das Dienstmädchen an und flüsterte ihr zu, sofort ein weiteres Gedeck aufzulegen.
    Marie-Anna konstatierte, dass Faucon richtig geurteilt hatte. Eine nicht zu unterschätzende Rücksichtslosigkeit war ihrem Arbeitgeber eigen. Fast dauerte sie Madame.
    Der Hausherr leitete wie gewöhnlich die Konversation bei Tisch, doch es beteiligten sich nicht alle mit gleicher Intensität daran. Professor Klein dozierte zwar über die römische Kultur, als er danach gefragt wurde, und hatte drei ungewöhnlich aufmerksame Zuhörerinnen. Doch Ursula Raabe zog es vor, dumpf grollend zu schweigen und nur gelegentlich dem servierenden Dienstmädchen scharfe Befehle zu erteilen. Besonders dunkel umwölkte sich ihre Stirne, als der Kommerzialrat sich an seine Tochter wandte und bemerkte: »Ach ja, Graciella, ich erfuhr in der Stadt, dass es in der nächsten Zeit im Comödien-Haus eine sehr beachtenswerte Aufführung eines Shakespeare-Stückes geben wird. Es nennt sich ›Kunst über alle Künste, ein bös’ Weib gut zu machen‹. Und ich denke, dass die von einem großen Dichter dargestellte Zähmung einer Widerspenstigen eine sehr lehrreiche Pièce für dich sein dürfte. Und, wenn ich es richtig betrachte, für Sie ebenfalls, Mademoiselle.«
    »Wie Herr Kommerzialrat meinen«, erwiderte Marie-Anna mit sittsam gesenktem Haupt.
    »Ich kann übrigens auch recht widerspenstig sein, Onkel Valerian«, murmelte Rosemarie.

    »Ach ja? Und darum glaubst du, eine solche Lektion auch zu verdienen?«
    »Gewiss.«
    »Nun, dann werde ich Karten für uns besorgen lassen. Ursula, werden Sie uns begleiten?«
    »In das Comödien-Haus in der Schmierstraße? Herr Raabe, Sie sind degoutant!«
    Er zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder an Marie-Anna.
    »Da mir Ihr Interesse an der Astrologie aufgefallen ist, Mademoiselle, habe ich Ihnen einen recht interessanten Artikel über einen neu entdeckten Planeten mitgebracht.«
    »Ich fürchte, wissenschaftliche Artikel zu verstehen überschreitet meine Fähigkeiten. Zumal in deutscher Sprache.«
    »Versuchen Sie es dennoch. Wenn Sie Fragen haben, bin ich gerne bereit, Ihnen weiterzuhelfen. Sie können den Bericht von Herschels Entdeckung sicher zusätzlich in einer der Konversationsstunden mit Graciella verwenden. Es wird meiner Tochter nicht schaden, sich über andere Themen als nur den neuesten Putz und Tand Gedanken zu machen.«
    »Wie heißt der neue Planet, Papa?«
    »Man hat ihn zunächst nach seinem Entdecker Herschel benannt, aber der Hamburger Astronom Johann Bode schlug vor, ihn gemäß den übrigen Planeten nach einem der antiken Götter zu benennen. Was glauben Sie, Marie-Anna, welchen er wählte? Sie sind doch in der Mythologie bewandert.«
    »Sie überschätzen meine Kenntnisse maßlos, Monsieur. Ich könnte nur raten.«
    »Dann raten Sie, Marie-Anna.«
    »Nun, der letzte uns bekannte Planet ist der Saturn. Und Saturnus wird der Hüter der Schwelle genannt.
Sollte hinter der Schwelle die Unterwelt dräuen, so mag der Name Pluto nicht unpassend sein.«
    »Ihre Schlussfolgerung ist durchaus passend, doch Bode hat einen anderen Namen gewählt. Er nannte ihn Uranus.«
    »Uranus ist selbstverständlich der richtige Name für den Vater des Kronos«, wandte Professor Klein kühl ein. »Aber das wird der Mamsell sicher nicht geläufig sein.«
    »Sie haben Recht, Professor Klein. Ich verstehe nicht – was hat Kronos damit zu tun?«
    »Humbert, erzähle uns die

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