Der Lilienring
paar Seiten, und zuletzt fasste Rose als Erste das Gelesene zusammen.
»Ei, ei, ei, da hat unsere Marie-Anna aber in ein Wespennest gestochen!«
»Sieht ganz so aus. Wer will eine Geschichte draus machen?«
»Wenn ihr für mein leibliches Wohl sorgt, dichte ich etwas zusammen. Schließlich geht es ja unter anderem um mich«, meinte Cilly grüblerisch.
Der Nachmittag wurde sonniger, und im Windschatten des Hauses machten wir es uns in Badeanzügen bequem. Cilly erzählte.
Tagebuch 4
26. Kapitel
Madames Verärgerung
Die Grabkammer war wieder fest verschlossen worden, Baumeister Berolf hatte neue Pläne angefertigt, um das Badehaus einige Meter weiter zu versetzen. Doch Valerian Raabe hatte angeordnet, es solle an der Stelle, unter der das Grab lag, ein Gedenkstein gesetzt werden, und Grandmère dachte über einen kleinen Rosengarten nach.
Der August neigte sich allmählich dem Ende entgegen. Der Kommerzialrat war, kurz nachdem die Baugrube zugeschüttet worden war, nach Köln abgereist, um sich dringenden Geschäften zu widmen, die ihn unter anderem einige Tage nach Belgien führen würden. Es waren ruhige letzte Ferientage für Marie-Anna, Rosemarie und Graciella, denn Berlinde war kurz darauf ebenfalls mit den Kindern abgereist, um den Haushalt in der Stadt wieder zum Laufen zu bringen. Hauptgesprächsthema der drei Freundinnen waren natürlich die früheren Bewohner der römischen Villa, und sie baten die beiden Arbeiter, ihnen jedes Fundstück aufzuheben, das eventuell einen weiteren Hinweis auf die Vergangenheit liefern konnte. Es gab derer einige. Keramikscherben, möglicherweise aus jener Zeit, eine verrostete Klinge, vermutlich ein Stilett, Teile von grünlichen, blinden Glasscheiben, zerbrochene Ziegel, zwei elfenbeinerne Haarnadeln, sehr gut erhalten, sogar zwei Kupfermünzen tauchten auf. Der beeindruckendste Fund aber war eine beinahe vollständig erhaltene Glasschale mit feiner Rankengravur, ähnlich der, wie sie die Schale im Grab aufwies.
Dann, in der ersten Septemberwoche, hieß es, nach Köln heimzukehren und das gesellschaftliche Leben in der Stadt wieder aufzunehmen. Madame und Professor Klein waren bereits am Sonntag von ihrer Kur zurückgekehrt. Am Montag verabschiedete sich Marie-Anna nicht ohne tiefes Bedauern von den beiden alten Herrschaften. Grandmère schenkte ihr eine hübsch bestickte, weiße Schürze, bedankte sich herzlich für ihre Hilfe und lud sie ein, sie jederzeit wieder zu besuchen. Rosemarie war nicht ganz so betrübt, das Gut zu verlassen. Zwei weitere Briefe waren in den letzten Wochen eingetroffen, und sie schien begierig zu sein, den Absender in persona wieder zu treffen. Graciella hingegen freute sich darauf, weiter in die Geheimnisse des Gesellschaftslebens eindringen zu dürfen. Ihr Vater hatte ihr versprochen, sie zu Theateraufführungen und Konzerten mitzunehmen.
»Nur schade, dass Feli hier bleiben muss.«
»Sie wird sich auf dem Gut viel wohler fühlen als in der Stadt. Da droht keiner mit der Schere...«
»Hoffentlich habe ich bald wieder eine vornehme Hautfarbe«, seufzte das Mädchen, als sie sich in der Reisekutsche die gebräunten und nicht besonders gepflegten Hände betrachtete.
»Nur Rosemarie hat noch den Anschein von Vornehmheit«, lächelte Marie-Anna. Auch sie war braun gebrannt, ihre Fingernägel kurz geschnitten und ihre blonden Haare mit hellen Streifen durchsetzt. »Wir sehen wie rechte Landtrampel aus.«
»Trotzdem, es war schön!«
»Das war es. Und lehrreich. Ich hoffe, dein Papa wird in der nächsten Zeit genauso umgänglich bleiben, wie er es in den letzten Wochen war.«
»Onkel Valerian wird wahrscheinlich wieder unter Madames Knute geraten. Und dann... Pfff!«
»Was für ein undamenhaftes Geräusch, meine Liebe!«
»Auf jeden Fall werde ich über diesen Grabfund schweigen wie ein solches.«
»Ich glaube, das werden wir alle. Ich bin froh, dass er es wieder versiegelt hat. Es wäre nicht gut, wenn irgendetwas daraus ans Tageslicht gebracht worden wäre. Finde ich.«
Marie-Anna aber dachte an den goldenen Ring, der am zweiten Tag nicht mehr in der Schale gelegen hatte. War auch er ein Beutestück des geheimnisvollen Diebes? Wenn, dann konnte ihn nur jemand genommen haben, der auch auf dem Gut gewesen war. Und das schloss natürlich den mürrischen Professor und Madame aus. War es Rosemarie selbst? Möglich wäre es, aber ob sie wahrhaftig so kaltblütig war, gleichzeitig mit dem Sous-Préfet zu liebäugeln und Aufrührer zu
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