Der Lilienring
stürzten mit ihren Gewehren in den Händen heraus.
»Halt! Stehen bleiben!«, brüllte einer und legte an.
Die beiden vermummten Gestalten gaben Fersengeld, die Soldaten rannten ihnen hinterher.
Lichter gingen an, Türen und Fenster wurden geöffnet, Schreie und Schüsse hallten durch die Nacht.
Valerian Raabe und Faucon, die in der Sous-Préfecture miteinander über die Anklage gegen Rosemarie gesprochen hatten, waren ebenfalls auf den Platz unterhalb des Domes getreten. Eine Gestalt mit wehenden Röcken rannte auf sie zu.
»Valerian!«, schrie Marie-Anna.
Im selben Augenblick gab es eine donnernde Explosion. Das Dach des Munitionsdepots hob sich wie von Geisterhand, dann barst die Außenmauer. Steine, Metallteile, Kugeln und Splitter von Holz und Glas flogen durch die Luft.
Die beiden Männer wurden gegen die Hauswand gedrückt, Marie-Anna aber traf die Kugel eines der Soldaten, der vor Schreck sein Gewehr abgefeuert hatte.
Valerian war als Erster wieder auf den Beinen, durch
Aschenregen, Qualm und Rauch lief er auf die zusammengesunkene Gestalt zu. Faucon folgte ihm mit einem leichten Hinken. Valerian kniete bei Marie-Anna nieder und drehte sie vorsichtig um. Mit Entsetzen betrachtete er die Wunde, die die Kugel unterhalb ihres Herzens gerissen hatte.
»Anna«, flüsterte er heiser. »Meine Anna!«
Auch Faucon kniete fassungslos nieder und beugte sich über die stumme Gestalt.
»Anna, Anna, mein Herz.«
Ihre Augenlider flatterten, und verwirrt blinzelte sie.
»Valerian!« Schwach schüttelte sie den Kopf. »Val...«
»Sei still, Anna.«
Vorsichtig nahm er sie in die Arme und stützte sie. Sie stöhnte auf, bewegte sich aber nicht. Ihre Augen waren wieder geschlossen. Dann aber sagte sie leise: »Ich wollte die Unterlagen… Rosemarie beweisen… unschuldig …«
Ihr Kopf lag an seiner Schulter, und langsam löste Valerian ihre Haare. Ein verlorenes Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel.
»Nimm den Ring... Behalte ihn. Nimm ihn! Meine Liebe... besiegt.« Mit letzter Kraft hob sie ihre Hand, und Valerian zog ihr den goldenen Ring des Römers vom Finger.
»Meine Geliebte, nein, sie ist nicht besiegt. Sie wird die Ewigkeit überleben!«
»Halte mich, mir ist so kalt.«
Valerian streichelte ihr von Ruß und Staub verschmiertes Gesicht, zu erschüttert, um irgendetwas zu sagen.
»Ich wäre so gerne bei dir geblieben. Doch nun... Valerian, wohin führt mein Weg? Weiß du es?«
»Zu den Sternen, Anna, zu den Sternen wirst du gehen. Weit ins All hinaus, in die Sphären der Planeten und
der Götter«, flüsterte Valerian erstickt. »Doch du wirst nicht vergessen. Und wir werden uns wiedersehen, wenn die Zeit dafür bestimmt ist.«
Sie schwieg, und ihr Atem wurde flacher und flacher. Das Blut verströmte in ihrem Körper mit jedem Schlag ihres verwundeten Herzens. Noch einmal hauchte sie: »In deinen Armen will ich schlafen.«
»Ja, Anna. Ich halte dich. Ich werde dich ewig halten.«
»Ich liebe dich, Valerian. Über alle Zeiten und Welten hinaus.«
Es wurde dunkel für Anna, und das Letzte, was sie hörte, waren die verzweifelten Worte von Valerian, dem Raben: »Mein Herz, meine Geliebte, mein Leben...«
Nicht weit von ihnen, im Schutze der halb heruntergebrochenen Mauer des Munitionsdepots, stand Markus Bretton. Er konnte sich nicht rühren, seit er gesehen hatte, wie die verirrte Kugel Marie-Anna getroffen hatte. Er verfluchte sich selbst, dass er sich zu diesem Akt der Sabotage hatte hinreißen lassen. Sein Hass auf die Franzosen war erloschen.
Tränen zogen unbemerkt ihre Spuren über sein rußgeschwärztes Gesicht.
Dann raffte er sich auf und ging hinüber zu den beiden Männern. Valerian hatte Marie-Anna auf den Arm genommen und trug die schlaffe Gestalt zur Préfecture.
Faucon sah Markus Bretton verwundert an.
»Ich war es. Ich bin verantwortlich für die Anschläge.«
Gegenwart
34. Kapitel
Chateau Kerjean
Die Morgendämmerung war angebrochen, als ich fertig war. Die ersten Vögel begannen verschlafen ihren Zwitscherchor. Graues Licht füllte das Zimmer. Grau, wie meine Stimmung.
»Es musste doch so enden«, schluchzte Cilly trocken. »Es endet doch immer so. Ach Gott, ist das furchtbar!«
Sie krabbelte aus dem Bett und lief die Treppe hinunter. Rose hingegen lag auf dem Rücken neben mir, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.
»Irgendwas ist anders. Aber ich weiß nicht, was«, murmelte sie nach einiger Zeit.
»Ich habe nicht darüber nachgedacht. Ich habe nur erzählt,
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