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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Windsurfen. Ich habe auch ein Kite-Board mitgebracht. Also, wenn du Lust hast...«
    Warum? Warum nur packte mich genau diese Lust, in voller Geschwindigkeit über die Wellen zu gleiten?
    »Morgen, Marc. Ich brauche erst noch einen Anzug und Stiefel.«

    »Kannst du dir hier im Club ausleihen. Hab’ mich schon erkundigt. Und nun, ihr Hübschen, was habt ihr heute Abend vor?«
    »Mit dir auszugehen, Marc«, flötete Cilly eifrig und spielte neckisch mit ihren blonden Rasierpinselzöpfen. »Es gibt hier eine messerscharfe Dorfdisco, in die mich meine älteren Schwestern nie mitnehmen.«
    »Weil du das Verderben der örtlichen Fischerjungs bist.«
    »Wenn Marc dabei ist, nicht.«
    »Dann bist du sein Verderben!«
    Kurz und gut, wir ließen uns überreden und nahmen an den ländlichen französischen Lustbarkeiten teil. Marc ließ keine Gelegenheit aus, meine Nähe, vor allem die körperliche, zu suchen, und ich hatte alle Hände voll zu tun, ihn zu disziplinieren. Wir kamen spät in die Federn, und Marc nahm nur mit Maulen das Urteil an, seinen eigenen Schlafplatz im Trailer zu benutzen. Den nächsten wettermäßig traumhaften Tag verbrachten wir mit Surfbrett, Kite-Board und Badematte am Strand. Marc brachte Cilly, die nicht unbegabt darin war, die Grundkenntnisse des Windsurfens bei, Rose schwamm oder aalte sich in der Sonne, und ich genoss nach einem Jahr Abstinenz das erste Mal wieder die Freiheit des Fliegens. Der Wind war genau richtig, und ich kam mit dem Kite-Board der kleinen Insel mehrmals sehr nahe. Noch hatte ich mich nicht getraut, sie zu betreten.
    Gegen Abend waren wir hungrig und erschöpft. Marc scheuchten wir nach dem Essen aus dem Haus, um unsere letzte Übung in Sachen Vergangenheit vorzunehmen. Musette hingegen ließ sich nicht so einfach vertreiben. Wir duldeten es, dass sie, gesättigt von etlichen Wurstzipfeln und einer großen Schale Sahne, ihren Verdauungsschlaf in einem der Sessel hielt, während wir
die Urkunden aus der Dokumentenmappe ausbreiteten und versuchten, sie zu einem Stammbaum zu ordnen. Es war nicht einfach. Die altertümliche Druckschrift war schwer zu lesen, die ältesten Urkunden waren vergilbt und stockfleckig, was der Kopierer getreu übernommen hatte. Die Eintragungen der verschnörkelten Handschriften waren teilweise kaum zu entziffern. Rose fand die erste wirklich interessante Unterlage, als die Dämmerung schon hereinbrach.
    »Cilly hatte Recht, hier ist die Heiratsurkunde von Jules Coloman und Graciella Raabe. Sie haben drei Jahre nach Marie-Annas Tod geheiratet.«
    »Da war Graciella siebzehn und er fünfunddreißig«, meinte Cilly triumphierend. »Und Rose, sieh mal – Valerian Raabe hat im März 1814 Rosemarie geheiratet.«
    »Ich hatte gehofft, sie würde ihren Faucon bekommen.«
    »Verflixt, Rose, ich habe etwas vergessen.«
    Hastig lief ich in mein Zimmer und holte aus meinem Kosmetikkoffer das alte Samtbeutelchen heraus. Mit dem Goldfiligrankreuz in der Hand ging ich nach unten.
    »Das, Liebes, gehörte wohl Rosemarie.«
    Rose nahm es in die Hand, ehrfürchtig fast, und schloss die Augen.
    Cilly und ich warteten schweigend. Musette hingegen stand auf und beobachtete sie mit gespitzten Ohren, als lausche sie ihren Gedanken.
    »Sie war nach Marie-Annas Tod unsagbar erschüttert, wurde aber dennoch für eine Weile Faucons Geliebte, bis er im Januar 1814, nach Napoleons Niederlage, sehr plötzlich die Stadt verlassen musste. Valerian war nach Marie-Annas Tod völlig unnahbar geworden, er ging auf eine lange Reise nach Übersee. Als er Ende 1813 zurückkam,
war Rosemarie die Einzige, die überhaupt noch hin und wieder an ihn herankam. Als Faucon sie verlassen hatte, fanden sie in ihrer Trauer zusammen.«
    »Ja, so wird es wohl gewesen sein«, flüsterte ich. »Kinder hatten sie keine.«
    »Nein, aber Graciella. Schau, sie hatte fünf Kinder, drei Mädchen haben überlebt, wie es scheint, die beiden Jungen starben in den ersten Lebensjahren.«
    So weit waren die Unterlagen noch einfach zu deuten, dann aber wurde es kniffelig. Denn Graciellas drei Töchter waren recht fruchtbar, und die Neben- und Seitenlinien verästelten sich stark. Wir hatten schon mehrere Seiten Papier mit unseren Aufzeichnungen nebeneinander gelegt, um Heiraten, oft mehrfache, und Nachkommen, einige uneheliche, in die richtige Ordnung in dem Stammbaum zu bringen. Erstaunliche Verflechtungen traten zutage.
    »Wahnsinn, Graciellas jüngste Tochter hat einen Deniz de Kerjean geheiratet, den Sohn von

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