Der Lilienring
einigermaßen anstellig, Marie-Anna nach dem Urteil der beiden anderen eine echte Heimsuchung. Dafür war sie im Umgang mit Pinsel, Puderquaste und Pinzette geübt und zupfte Augenbrauen zu hohen Bögen, legte Rouge hauchzart auf bleiche Wangen, färbte helle Wimpern dunkel und schminkte blasse Lippen zu köstlichen Rosenmündchen. Doch ihre Werke wirkten natürlich, nie angemalt oder ordinär.
Nachdem ihre Haare zu einem hohen Chignon aufgesteckt und mit blauen Bändern geschmückt waren, ging Marie-Anna zu Rosemarie und half ihr, sich zurechtzumachen.
»Du hast dich richtiggehend gemausert, Rosemarie. Wahrscheinlich wirst du ein großer Erfolg werden heute Abend.«
»Glaubst du?«
»Wenn du nicht immer die Lider niederschlägst und den Mund verschließt! Vergiss nicht, ein wenig Lächeln, ein bisschen Wimpernklimpern, den Fächer spielen lassen – ich habe es dir doch gezeigt. Du hast schöne Augen, Rosemarie. Flirte mit ihnen ruhig mal.«
»Deine sind viel faszinierender, Marie-Anna. Man weiß nie, welche Farbe sie haben. Manchmal sind sie grau, manchmal grün, und heute, mit dem blauen Shawl, schimmern sie blau.«
»Man muss sich eben anpassen. Ein Tupfer Parfum noch. Mhhh, ist das neu?«
»Markus Bretton. Er hat es vergangene Woche mitgebracht.«
»Ei, ei, Rosemarie!«
Pünktlich um halb acht traf man sich in der Eingangshalle,
um in die Equipage zu steigen, die sie zum Gürzenich bringen würde – Madame in scharlachrotem Samt, das Planetencollier auf dem schwellenden Busen, die braunen Haare zu koketten Püffchen und Rollen um die Stirn gesteckt, die hagere Berlinde in hochgeschlossener violetter Seide, ein schauriger Kontrast daneben. Der Kommerzialrat in strenger schwarzer Abendkleidung mit hoher Halsbinde, den Zylinder korrekt auf den glatt gebürsteten Locken, den grau-schwarzen Bart lockig auf der Brust liegend.
»Berlinde ist nur fünf Jahre älter als wir«, wisperte Rosemarie. »Aber sie gibt sich wie achtzig.«
Berlinde hatte mit ihren zweiunddreißig Jahren, zumindest modisch, mit dem Leben abgeschlossen.
»Sind Sie so weit, meine Damen?«, fragte Valerian Raabe.
Der Ball war erwartungsgemäß gut besucht. Rosemarie und Marie-Anna unter Aufsicht von Madame und Berlinde blieben eine Weile beieinander und suchten nach bekannten Gesichtern. Sie tauschten Grüße und höfliche Floskeln aus, ließen sich kleine Erfrischungen bringen, und als die Musik begann, hatten sie beide schon einige Tänze vergeben.
Romain Faucon verbeugte sich vor Marie-Anna. Er sah beeindruckend aus in seiner offiziellen Uniform, und sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, obwohl sie seine Gesellschaft lieber gemieden hätte. Doch er gab sich leutselig.
»Mademoiselle, Sie sehen charmant aus. Darf ich um diesen Tanz bitten, oder ist der Walzer Ihnen nicht genehm?«
»Ich tanze Walzer gerne, so mein Partner meine Füße schont.«
»Sie können sich darauf verlassen, dass ich meine
gesellschaftlichen Pflichten kenne. Auf diesem Parkett, Mademoiselle, trete ich Ihnen nicht auf die Füße!«
Sie lachte.
»Manchmal, Monsieur Faucon, können sogar Sie mit Esprit überzeugen.«
»Tanzen wir?«
»Mit Vergnügen.«
Sie drehten formvollendet einige Runden, erst dann fragte Faucon nach: »Sie haben unsere Treffen vernachlässigt, Mademoiselle. Ich nehme an, es gab Gründe?«
»Krankheitsbedingte, wie Sie bestimmt erfahren haben.«
»Ja, ich hörte davon. Sie haben sich gut gehalten, Marie-Anna.«
»Ich habe sogar noch mehr getan, Monsieur le Sous-Préfet. Ich habe drei Ihrer Objekte identifiziert.«
»Wahrhaftig.«
»Ein weiteres ist in den vergangenen Tagen verschwunden. Ein Siegelring, rote Gemme, mit Pferdchenfigur. Inschrift im Reif: ›Ad Perpetuam Memoriam‹.«
»Und wir haben den Überfall auf zwei Gendarmen zu verzeichnen, die in den Rhein geworfen worden sind, in ein Waffenarsenal ist eingebrochen und die Gewehre darin sind zerstört worden. Wollen wir hoffen, dass Ihre Pferdchen-Gemme im Hause des Kommerzialrates wieder auftaucht und nicht bei mir.«
»Diese Sabotageakte sind geschehen, während er auf Reisen war.«
»Natürlich. Er wird sie schwerlich eigenhändig ausgeführt haben.«
Marie-Anna schüttelte abwehrend den Kopf.
»Warum sollte er Dinge aus seinen Sammlungen entfernen, die auf den Listen stehen, die wir noch bearbeiten müssen? Das ist doch idiotisch.«
»Kann sein. Einen hübschen Shawl tragen Sie da.«
»Ein Dankeschön meines Arbeitgebers.«
»Dieses Indigoblau ist
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