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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Dunstwolken, und vereinzelt zuckten Blitze zwischen dem schwarzen Gewölk hin und her. Doch Donner erklang
nicht, still war die Nacht, nur das jagende Käuzchen ließ seinen unheimlichen Ruf ertönen.
    Marie-Anna lehnte an einer Zinne, die ihr bis an die Brust reichte, und schaute dem Wetterleuchten zu.
    »Sie können auch nicht schlafen, Marie-Anna?«, flüsterte es neben ihr.
    »Nein. Habe ich Sie gestört, Monsieur?«
    »Überhaupt nicht. Hier, ich habe uns Wein mitgebracht. Trinken Sie einen Schluck mit mir.«
    Valerian Raabe stellte zwei Tonbecher und eine Flasche Rotwein auf die Fläche zwischen den Zinnen. Er goss ein und reichte ihr das Gefäß. Sie nippte daran.
    »Sie lieben einen starken Wein, Monsieur.«
    »Ja, ich liebe einen schweren Wein. Er vertreibt die Schmerzen.«
    »In Ihrer Kehle.«
    »Dort auch.«
    Sie setzten sich auf die niedere Brüstung, Marie-Anna ein wenig befangen in ihrem Nachthemd, das nur von dem leichten Shawl bedeckt war, er hingegen entspannt und gelassen. Sein weißes, am Hals offenes Hemd leuchtete in der Dunkelheit, der schwarze Bart bedeckte seinen Hals, um den er, wie üblich ein Tuch gebunden hatte.
    »So erfahre ich also tatsächlich, was aus dem Stoff geworden ist. Ich hatte mich schon gefragt, wie lange eine Frau widerstehen kann, ihn zu etwas Hübschem zu verarbeiten. Allerdings hatte ich nicht an ein Nachtgewand gedacht.«
    »Monsieur!« Marie-Anna hatte ihre Stimme wie er zu einem Flüstern gesenkt. Aber sie lachte leise auf. »Oh, das war ein Geschenk von Ihnen? Ich... pardon, ich hatte einen anderen Geber im Verdacht.«
    »Daher das Hemd fürs Bett?«
    »Aber nein, Monsieur. Dieses Leinen ist Konterbande,
wenn mich nicht alles täuscht. Ich wollte niemanden in Verlegenheit bringen.«
    »Viele Damen tragen Kleider aus geschmuggeltem Stoff. Es scheint derzeit geradezu der bon tone zu sein.«
    »Ich fürchtete, in Ihrem Haus...«
    »Schon gut, Marie-Anna. Es ist zwar eine kostbare Nachtwäsche, aber sie schmeichelt der Trägerin. Warum konnten Sie nicht schlafen?«
    »Das Grab, Monsieur.«
    »Ja, das Grab. Auch mich treibt um, was wir sahen.«
    »Wie alt mag es sein?«
    »Genau bestimmen wird das nur ein versierter Altertumskundler. Ich habe keine Zeitangaben in den Inschriften gefunden. Doch es gibt den Hinweis, dass Kaiser Traian die Dienste des Stadtrates Titus Valerius Corvus gerühmt hat. Also nehmen wir einmal an, er hat zumindest zur Regierungszeit dieses Caesaren gelebt, und die lag im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung.«
    »Also ist das Grab 1700 Jahre alt. Unfassbar.«
    »Vieles ist daran unfassbar, Marie-Anna. Die Art der Kunstwerke, die Tatsache, dass es völlig unberührt ist, und auch, dass es offensichtlich nur sechs Personen als Grab dient.«
    »Ja, und genauso die Beziehungen dieser Menschen untereinander zum Beispiel. Wer war Valerius Martianus Rayan? Der Sohn der Ulpia Rosina? Rosemarie ist der Meinung, er habe ihnen die Gräber gerichtet. So sagen die Inschriften, doch von ihm gibt es keine Büste.«
    »Er könnte ein Sohn aus ihrer ersten Ehe sein.«
    »Würde er dann nicht den Namen seines Vaters tragen?«
    »Sie haben Recht. Und der Name Rayan klingt unrömisch. Dafür gibt es einen Martius, den Mann ohne Zunamen, der einen keltischen Halsreif getragen hat. Sein
Grab trägt nur den Hinweis, dass er Soldat der Legio Minerva war.«
    »Der Vater des Martianus?«
    »Möglicherweise, doch offensichtlich dann nicht verheiratet mit Ulpia Rosina, denn sie stammt aus einem sehr edlen Geschlecht. Der Kaiser Traian war ein Ulpier, meine ich mich zu erinnern.«
    »Dagegen ist Valeria Gratia wohl die eheliche Tochter des Valerius?«
    »Tochter oder Schwester. Das sagen die Namen nicht aus, und da wir keine Daten haben, wer wann geboren oder gestorben ist, können wir nur vermuten.«
    »Sie war verheiratet mit Lucius Aurelius Falco.«
    »Einem verdienten Mann aus einem ebenfalls hochadligen Geschlecht, der eine steile Karriere vom Praefecten der Legio Minerva bis hin zum Statthalter von Britannien durchlaufen hat. Erstaunlich, dass er in diesem Grab beigesetzt wurde.«
    »Ja, wie so vieles. Diese Schale...!«
    »Sie ist es, die Sie so tief beeindruckt?«
    »Ja, Monsieur, aus verschiedenen Gründen.«
    »Möchten Sie sie mir nennen?«
    Marie-Anna nahm noch einen Schluck aus dem Becher und bemerkte verwundert, dass sie ihn bereits geleert hatte. Valerian Raabe schenkte ihr nach. Sie sah in die dunkle Nacht hinaus und zögerte. Was sie bewegte, ging sehr tief

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