Der Lilienring
Lachs zu, der morgens aus dem Rhein gefischt worden war. Dann ging sie nach oben in ihre Kammer, um ihre Arbeitskleider abzulegen und die Haare neu aufzustecken. Zu ihrer Überraschung fand sie Rosemarie vor, die dabei war, einen Brief zu schreiben. Ein Schreiben, das neben ihr auf dem Tisch lag, ließ sie flink in ihrer Rocktasche verschwinden, als Marie-Anna eintrat.
»Hoppla, Rosemarie. Habe ich richtig gesehen? Geheimnisvolle Korrespondenz?«
»Ich schreibe nur einer Freundin.«
»Deshalb bekommst du so rosige Wangen?«
»Du hast mich erschreckt, du bist so leise die Treppen hochgekommen.«
»Soll ich demnächst poltern? Welcher deiner zahllosen Freundinnen schreibst du denn? Einer, die ich kenne? Dann grüße sie von mir.«
Die Röte vertiefte sich auf Rosemaries Wangen.
»Sollte es jedoch ein Freund sein, dann grüße ihn ebenfalls«, neckte Marie-Anna sie.
»Ist ja schon gut, ist ja schon gut!«
»Ah, also doch ein Billet doux, mh? Aber Süßigkeiten sind ungesund, das weißt du doch!«
»Du verrätst mich nicht?«
»Nein, ich verrate dich nicht. Kenne ich ihn?«
Rosemarie nickte und senkte die Augen.
»Markus?«
Sie schüttelte heftig den Kopf.
»Na, dann bleibt es erst einmal dein Geheimnis.
Wenn du fertig bist, kannst du mir helfen, das Essen nach draußen zu bringen. Die Männer haben einen Bärenhunger.«
»Ich komm schon. Gibt es etwas Neues?«
»Werden uns dein Großvater und dein Onkel wahrscheinlich gleich erzählen.«
Sie hatten beschlossen, das Wagnis einzugehen. Am nächsten Vormittag sollte unter größten Sicherheitsvorkehrungen die Tür geöffnet werden.
»Rosemarie und Marie-Anna, ihr seid geschickt mit dem Stift. Macht zunächst Skizzen von der Tür und der Mauer. Dann werden wir sehen, was sich dahinter verbirgt. Ich habe die Vermutung, dass es sich womöglich um die Grabstätte der ehemaligen Bewohner handelt. Wenn das der Fall ist, werden wir vielleicht wertvolle Schätze finden. Sie müssen in situ gezeichnet werden. Also haltet euch auch dafür bereit. Habt ihr genügend Zeichenmaterial?«
»Ja, Monsieur.«
»Ihr habt keine Angst vor den Geistern der Toten?«
»Nein, Monsieur.«
»Nein, Onkel Valerian.«
»Dann holt euer Handwerkszeug.«
Sie zeichneten rasch auf ihren Skizzenblöcken die Tür aus verschiedenen Perspektiven, und Meister Bertolf sah ihnen mit Achtung zu.
»Wenn Sie jemals in die Verlegenheit geraten sollten, eine bezahlte Tätigkeit aufnehmen zu müssen, dann kommen Sie zu mir, junge Fräuleins. So ordentliche Bauskizzen habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Sehr gut beobachtet!«
Dann geschah es.
Meister Berolf und Valerian Raabe öffneten die Holztür, indem sie die verrosteten Riegel heraussprengten.
Zwei der Arbeiter standen mit hell leuchtenden Öllampen bereit, ein dritter hatte Spaten und Hacken neben sich und einen Stapel Stützhölzer. Doch das Gewölbe erwies sich als stabil, nichts krachte, nichts stürzte ein, als die Tür kreischend in ihren seit Jahrhunderten nicht mehr benutzten Angeln aufschwang.
»Licht!«, befahl Valerian Raabe.
Man reichte ihm eine der Lampen. Er musste sich ducken, um durch den niederen Türsturz einzutreten.
Marie-Anna, Graciella und Rosemarie standen nebeneinander und hielten den Atem an.
Der Kommerzialrat kam zurück, und sein Gesicht trug einen seltsamen Ausdruck.
»Allmächtiger Gott!«, stieß er hervor. Und seine gewöhnlich tonlose Stimme klang tief bewegt. »Mädchen, kommt. Nehmt ausreichend Licht mit.«
Vorsichtig folgten ihm die beiden Älteren und leuchteten den Raum aus. Er war höher als ein gewöhnliches Zimmer, der Fußboden mit einem kunstvollen, schwarz-weißen Mosaik belegt. An jeder der drei Seiten gab es bogenförmige Nischen, jeweils eine große in der Mitte, kleinere rechts und links davon. Zwei aus Stein gehauene Sessel in feinem Flechtmuster standen davor, auf dem Boden zwei hohe Keramikurnen.
In den Nischen aber standen Marmorbüsten.
»Macht zuerst eine Skizze des gesamten Raumes und der Anordnung der Gegenstände. Nur oberflächlich, keine Details.«
»Ja, Monsieur!«
Marie-Annas Stimme klang ehrfürchtig.
»Habt ihr einen Block und einen Stift für mich? Ich will die Inschriften kopieren.«
»Hier, Onkel Valerian.«
Sie arbeiteten schweigend, nur das Papier raschelte dann und wann.
»Bringt mehr Lampen!«, forderte Valerian Raabe. Er wandte sich den beiden Zeichnerinnen zu: »Könnt ihr die Portraits abbilden?«
»Natürlich.«
»Dann beginnt.«
Marie-Anna
Weitere Kostenlose Bücher