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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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und lugten neugierig in die flache Grube.
    »Gab es hier nicht einmal eine römische Bebauung, Onkel Valerian? Sie wissen doch, wir haben Scherben und eine kleine Tonfigur gefunden, die auf römische Bewohner schließen ließen.«
    »Möglich wäre es. Aber das hier erschwert natürlich den Weiterbau. Lasst uns sehen, wie tief es reicht.«
    »Nach dem Essen!«, befahl eine weibliche Stimme. Grandmère war mit einem Krug Apfelwein aus dem Haus gekommen und scheuchte Arbeiter, Mädchen und Männer an die Tische. Das Gespräch während des Essens kreiste um die gefundenen Relikte, und es wurde sachkundig gefachsimpelt, römische Baukunst mit der gegenwärtigen verglichen und Vermutungen angestellt, was sich unter dem Gelände wohl noch verbergen würde.
    »Macht euch keine zu großen Hoffnungen«, meinte Valerian Raabe. »Vermutlich ein alter Vorratskeller oder der Eingang zum Hypocaustum.«

    »Können wir nicht trotzdem noch ein Stück tiefer graben, Onkel Valerian?«
    »Wir werden es sogar müssen. Wenn sich ein Hohlraum darunter befindet, muss er aufgeschüttet werden, Fräulein«, antwortete ihr der Baumeister, der Gefallen an den intelligenten Schlussfolgerungen der jungen Frau gefunden hatte.
    Daher wurde nach der Mittagspause die Arbeit auf jene Stelle verlagert, die das alte Gemäuer vermuten ließ.
    »Eine Treppe, Herr Raabe. Sieben Stufen haben wir jetzt freigelegt. Sie scheint auf einen Vorplatz zuzuführen. Es sieht aus, als gäbe es da Reste eines Mosaiks.«
    Es lag eine seltsam erwartungsvolle Spannung über der kleinen Baustelle. Alle Bewohner des Hauses hatten sich inzwischen eingefunden, um dem Fortgang der Ausgrabung beizuwohnen.
    »Säulen, Monsieur!«, rief Marie-Anna plötzlich. »Das sind doch Säulen.«
    »Eine scharfsichtige junge Frau haben wir da. Sie mögen Recht haben, das ist Steinmetzarbeit. Leute, vorsichtig arbeiten. Nehmt die kleinen Schaufeln, legt die Hacken fort.«
    Sie gruben bis in die Dämmerung hinein, nur unterbrochen durch ein weiteres, einfaches Mahl. Selbst die Arbeiter waren angesteckt von der gespannten Atmosphäre und murrten nicht, als sie gebeten wurden, weiterzuarbeiten. Doch das Licht ließ nach, und in der lauen Sommernacht fanden sich alle, erschöpft, doch aufgeregt, unter den Bäumen ein, um die müden Glieder zu strecken. Der Hausherr hatte mehrere Flaschen eines kühlen, hellen Weins gespendet, und Helgas frischem Brot und dem Griebenschmalz, duftend nach Äpfeln und Thymian, wurde lebhaft zugesprochen.
    Am nächsten Morgen grub man vorsichtig weiter.
Langsam erkannte man eine Treppe, die zu einer Wand führte, auf der an manchen Stellen Fragmente einer Bemalung sichtbar wurden. Was aber am Nachmittag noch größeren Wirbel auslöste, war die Tatsache, dass man vor einem Eingang zu einem weiteren Raum stand.
    »Solide Arbeit«, beurteilte der Baumeister, was er sah. »Ich vermute, der Raum dahinter ist nicht eingestürzt. Diese Balken hier sehen von oben intakt aus. Was mag sich dahinter verbergen?«
    Valerian Raabe, staubig, die Ärmel seines Leinenhemdes weit über die Ellenbogen aufgerollt, den Ausschnitt bis weit über die Brust offen, stand breitbeinig, gestützt auf einen Schaufelstiel, vor der uralten, massiven Holztür und fuhr sich mit den Fingern lockernd unter dem verschwitzten Halstuch entlang.
    »Die Tür... Es wundert mich, dass sie so gut erhalten ist, Meister Berolf.«
    »Sie war viele Jahre, wahrscheinlich Jahrhunderte lang unter der Erde verborgen. Es ist nicht feucht hier, und dieses Eichenholz ist verdammt widerstandsfähig. Werden Sie sie aufbrechen?«
    Diese Frage stellten sich auch alle anderen, die sich nun wieder versammelt hatten.
    »Je nun. Das ist keine einfache Sache, Meister Berolf. Ich habe schon Ausgrabungsstätten gesehen und die Berichte der Archäologen gelesen. Manches, was solide aussah, ist bei unvorsichtiger Berührung unvermittelt zusammengestürzt. Anderen Hohlräumen sind giftige Dämpfe entstiegen und haben die Übermütigen vergiftet. Es wäre bestimmt sinnvoll, einen Fachmann zu Rate zu ziehen.«
    »Aber Papa!«
    Graciella konnte sich vor Aufregung kaum noch halten.
    »Bezähme dich, Mädchen!«, mahnte er, doch ungehalten
war er nicht. »Gebt mir ein wenig Zeit, nachzudenken und mich mit Großvater und Meister Berolf zu beraten.«
    Sie sprachen lange miteinander, und Marie-Anna machte sich daran, ihren vernachlässigten Pflichten nachzukommen. Mit Helga buk sie Brötchen und bereitete einen mit Kräutern gefüllten

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