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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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diesen Dienst nur in Notfällen in Anspruch, und dieser Fall war ein Notfall. Er hatte keine Ahnung, wie es funktionierte, und wollte es auch lieber gar nicht wissen. Er gab Juri Locks Telefonnummer, ein Moskauer Handy, sagte ihm, dass es dringend war, und bat ihn zu sehen, was er erreichen konnte.
    Als er das Gespräch beendete, klingelte das Handy sofort erneut.
    »Hallo.«
    »Ben, hier spricht George. Wir haben das Hotel diskret überprüft, und er hat nicht ausgecheckt. Einer der Bodyguards ist mit dem Auto weggefahren. Der andere ist noch drin. Wir haben uns entschieden, hierzubleiben. Ich arbeite an der Kreditkarte.«
    »Das ist gut.«
    Webster beendete das Gespräch und hielt das Handy auf seinem Schoß. Nach zwanzig Sekunden klingelte es erneut. Er nahm es an, ohne auf die Nummer zu sehen.
    »Hallo.«
    »Spricht dort Ben Webster?« Eine Stimme, die er nicht gleich wiedererkannte.
    »Ja, am Apparat.«
    »Hier ist Richard Lock.« Webster spürte, wie sein Herz schneller schlug. Er sagte nichts. Er nahm das Handy einen Moment vom Ohr und schaute auf das Display: eine Londoner Nummer, ein Festnetzanschluss. »Ich dachte … Ich dachte, es wäre vielleicht nützlich, wenn wir unsere Positionen durchsprechen.« Locks Stimme war nicht mehr so kräftig wie gestern Abend, aber geschäftsmäßig.
    »Ja«, sagte Webster. »Das wäre es zweifellos.« Er hielt inne, um Lock reden zu lassen.

    »Ich mache mir Sorgen, dass wir die Chance für einen Vergleich verpassen.«
    »Woher rufen Sie an? Sie sind noch in London?«
    »Ja. Woher wussten Sie … Ja, ich bin heute in London.«
    »Die Nummer wurde bei mir angezeigt. Sollen wir uns treffen?«
    Lock zögerte. »Äh, ja. Ja. Heute Nachmittag habe ich Meetings, aber jetzt bin ich für ein oder zwei Stunden frei. Vielleicht an einem neutralen Ort.«
    »Claridge’s?«
    »Wahrscheinlich besser irgendwo, wo wir nicht gesehen werden.« Natürlich.
    »Ja.« Webster dachte einen Augenblick nach. Er war etwas unvorbereitet. Er brauchte einen Ort, der völlig abseits aller Wege lag. Er hätte das einplanen sollen. »Lassen Sie mich überlegen. Okay, ich habe eine Idee. Nehmen Sie ein Taxi zur Lisson Grove und steigen Sie an der Kreuzung zur Church Street aus. Da gibt es ein Café etwa hundert Meter die Straße hinunter. Ich kann mich nicht an den Namen erinnern, aber da war noch nie ein Geschäftsmann drin. Ich bin in zwanzig Minuten dort.«
    »Church Street. Ich werde wahrscheinlich ein wenig länger brauchen. Woran erkenne ich Sie?«
    »Ich trage einen Anzug. Bis gleich.«
    Webster drehte sich um und ging mit neuem Elan nach Norden, wobei er über die Schulter nach Taxis Ausschau hielt. Er rief George an und Hammer, der amüsiert war.
    »Was wollen Sie mit ihm machen?«
    »Ich werde ihn auf den rechten Weg zurückführen.«
    Hammer lachte. »Ich würde sagen, den hat er schon gefunden.«

    Die Church Street lag fünf Minuten nördlich von Marylebone, aber irgendwie in einem ganz anderen London. Dies war eine Gegend, in der die Menschen eher wohnten als arbeiteten. Die Straße war gesäumt von Ständen, die Fische aus Styropor-Kisten verkauften, Obst und Gemüse in Ein-Pfund-Kunststoffschüsseln, Bodenpolitur und Geschirrspülmittel in Plastikfaltkästen, auch Damenmäntel, die eng gepackt auf runden Gestellen hingen. An einem Stand gab es Handschuhe aus schwarzem Leder oder in jeder vorstellbaren Farbe aus Wolle, an einem anderen gab es Ohrringe und Armbänder, die in ihren Zellophanverpackungen auf einem Tisch ausgestreut lagen wie Eiswürfel. Es war jetzt trocken, aber ein kalter Wind blies stetig die Straße entlang, und der Markt war nur wenig belebt. Webster duckte sich zwischen zwei Ständen durch in die Reihe von Geschäften und fand das Café. Enzo’s Market Café. Die Fensterrahmen waren blau gestrichen und stellenweise abgeblättert, was das stumpfe Grau darunter hervortreten ließ. In den Fenstern selbst klebten Bilder, die, ganz in Gelb, Orange und Rot gehalten, die Speisen zeigten, die man bestellen konnte, wenn man Mut bewies und hineinging.
    Innen hing der Geruch von Frittiertem und altem Fett in der Luft. Webster bestellte sich eine Tasse Tee, nahm sie mit an einen der Resopaltische, setzte sich mit Blickrichtung zur Tür und zog sein BlackBerry heraus, damit er beschäftigt aussehen würde, wenn Lock eintraf. Am Fenster saß ein alter Mann in einer formlosen braunen Tweedjacke, der konzentriert eine Zeitung las, die er über den ganzen Tisch ausgebreitet hatte. An

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