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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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Fernseher gab es doch nicht.
    Lock betrachtete alles wohlwollend. Es war einigermaßen sauber, und es war sein. Er zog den Mantel aus, hängte ihn an die Tür und legte sich aufs Bett. Er war glücklich über seine neue frugale Existenz, er vermisste lediglich einiges. Er hätte gerne eine Flasche Whisky und einen Schlafanzug gehabt. Vielleicht sollte er die Frau unten fragen, ob es etwas zu trinken gab. Aber es war ja nur für eine Nacht. Morgen würde er einen Zug nach Newhaven nehmen und von dort die Fähre nach Dieppe. Dann würde er einen Wagen mieten, in die Schweiz fahren, sein ganzes Geld abheben und für lange Zeit verschwinden. Onder in Istanbul besuchen und sich um einen neuen Pass kümmern. Onder kannte sicher jemanden; Leute wie er taten das. Und dann weiter, irgendwohin, wo es keiner erwartete, wo es ein wenig chaotisch war. Indonesien vielleicht, eine von den entfernteren Inseln. Oder Vanuatu. Am Ende der Welt.
    Was würde passieren? Malin würde ihn suchen. Vielleicht würde das FBI ihn suchen. Vielleicht auch die Schweizer. Die Schweizer hatte er ganz vergessen. Rast hatte mit unbewegter Miene gesagt: »Ich sollte Ihnen das gar nicht erzählen, Richard, aber vielleicht können Sie es irgendwie nutzen. Der Schweizer Staatsanwalt glaubt, dass sie ein interessantes Geschäft betreiben, und er wird sehr neugierig.« Das war Teil davon. Was, wenn die Schweizer ihn an der Grenze
aufhielten? Was, wenn sie schon genug über ihn gesammelt hatten? Sie könnten die Russen verständigen und ihn nach Hause schicken lassen. Oh Gott. Wäre er schlau gewesen, hätte er Baschajew beauftragt herauszubekommen, was die Schweizer machten.
    Es gab auch noch andere Probleme mit seinem Plan. Konnte man so viel Geld von einer Schweizer Bank abheben? Ja, da war er sich sicher. Er hatte Geschichten über Leute gelesen, die die Schweiz mit weit mehr als den acht oder neun Millionen verließen, die er dort hatte. Aber was nützte das Geld, wenn sie ihn an der Grenze aufhielten? Woher stammte es, welche Erklärung hätte er dafür? Und wie wollte er es mit sich herumtragen – in einem Koffer? Nach Istanbul? Und selbst angenommen, all das funktionierte und er schaffte es, nach Sulawesi zu kommen, wie lange würde es dann dauern, bis Malin ihn aufgespürt hatte? Horkow würde bald von seinem Verschwinden erfahren – am Morgen wahrscheinlich, wenn Iwan und Arkadi schließlich bemerkten, dass er nicht in Marinas Wohnung war. Harkow wirkte schon Furcht einflößend, wenn er zur eigenen Seite gehörte; die Vorstellung, Horkow und seine Leute lebenslang auf der eigenen Spur zu wissen, war lähmend.
    Sein Kopf begann zu dröhnen, als die Wirkung des Wodkas nachließ. Er spürte, wie die Schultermuskeln an seinem Hals zerrten, und sein Rücken schmerzte. Wer war er denn, dass er sich einbildete, entkommen zu können? In Russland war er fett und ängstlich geworden, er hatte nicht mehr die Instinkte, denen er vertrauen konnte. Es war, als wollte man ein Schoßhündchen auswildern. Und was erwartete ihn, wenn er es schaffte? Ein Leben lang die Furcht, die er jetzt empfand.

12
    Es war kurz nach Mitternacht, als Webster nach Hause kam. Er zog sich im Bad aus, schlüpfte so leise er konnte unter die Decke und legte sich auf den Bauch. Elsa schlief schon. Er lag einen Moment da und lauschte ihren langsamen und tiefen Atemzügen. Sie lag auf der Seite, ihm zugewandt, er spürte ihren Atem auf seinem Hals.
    »Ist es schon vorbei?«, fragte sie leise murmelnd.
    »Ich dachte, du schläfst.«
    »Hab ich auch.«
    »Sorry. Nein. Er ist zu seiner Frau gegangen. Exfrau. Er ist noch da.«
    »Ob sie wohl schlafen?«
    Webster küsste sie auf die Stirn, wälzte sich herum und schaute zu, wie das Licht der Straßenlampen an den Rollos vorbei ins Zimmer kroch. Auch Lock war jetzt wohl im Bett, vermutlich lag er wach und brütete darüber, welche Optionen er hatte. Es konnte gar nicht anders sein.
    Am nächsten Morgen erwachte er zeitig, vor Nancy und Daniel, die überrascht waren, ihn schon auf zu sehen, als sie zum Frühstück herunterkamen. Er machte ihnen arme Ritter mit Honig und aß selbst zwei Scheiben. Sein Handy lag auf dem Küchentisch, voll aufgeladen und bereit für einen weiteren Tag von präzisen Kurzmitteilungen von George
Black. Die erste des Morgens war um halb sieben abgeschickt worden: »Team ausgetauscht. Zielperson immer noch in der Wohnung der Frau. Unbekannte Überwachung weiterhin vor Ort, mit gleichen Teams und Autos.« Letzte Nacht

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