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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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erzähle, dass dann vielleicht … Aber ich konnte keinen Priester finden. Und ich war nicht sicher, was ich dort beichten wollte.«
    »Unterlassungssünden?«
    »Vielleicht. Ja. Ich habe ziemlich viel unterlassen.«
    Die nächste halbe Stunde lang redete Lock. Er redete über die Cayman Islands und das furchterregende Phantom FBI. Er redete über Malin und dessen wachsende Ungeduld, über die Bodyguards und das Gefängnis, das Moskau für ihn geworden war. Er redete über Gerstman und den Schrecken, der ihn immer noch überfiel, wenn er sich seinen Tod vorstellte. Er ließ sehr wenig aus.
    Es schien ihm gutzutun. Webster hörte aufmerksam zu, unterbrach gelegentlich mit einer Frage, und während Lock langsam wieder Farbe im Gesicht bekam, dachte Webster, dass sein Beruf und der seiner Frau in mancher Hinsicht gar nicht so verschieden waren. Er kannte diese spezielle Situation, die Anfänge einer seltsamen Abhängigkeit, einer noch seltsameren Vertrautheit. Jeder von ihnen musste dem anderen vertrauen, ob das klug war oder nicht.
    Dann war er an der Reihe. Er erzählte Lock, was er
über Malin wusste und was das FBI erfahren würde. Lock warf ein, dass, soweit er wusste, die Schweizer ebenfalls interessiert waren, und Webster sagte, dass wahrscheinlich noch weitere hinzukommen würden. Er beschrieb, was als Nächstes geschehen würde: dass Anklagen formuliert und internationale Haftbefehle ausgestellt werden würden; dass Lock gezwungen sein würde, in Russland zu bleiben; dass die Zeitungen, die bisher ausgesprochen ruhig gewesen waren, sich mit Freuden monatelang auf dieses Thema stürzen würden. Er erinnerte Lock an Fälle aus der Vergangenheit, an Hubschrauberabstürze oder an Drive-By-Shootings von Motorrädern aus – bis Lock ihm das Wort abschnitt.
    Und dann beschrieb er die Alternative. Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft. Engagieren unabhängiger Anwälte. Gegen Malin arbeiten, ihn bloßstellen. Möglicherweise ins Gefängnis gehen, aber die Herrschaft über einen Teil des eigenen Lebens zurückgewinnen.
    Lock hörte zu, ab und zu nickte er, als wolle er aus großer Entfernung in Kontakt bleiben. Er schaute Webster selten an; er starrte auf den Tisch, aus dem Fenster, auf die anderen Menschen im Café, das sich jetzt etwas mehr gefüllt hatte. Er trug noch seinen Mantel, unter dessen Fülle sein Körper geschrumpft und eingefallen wirkte. Nachdem Webster geendet hatte, saß er einige Momente nickend da.
    »Das Problem ist«, sagte er und schaute Webster endlich an, »ich glaube nicht, dass ich genug weiß, um nützlich zu sein.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich weiß nicht genug. Habe ich noch nie. Kesler hat es mir erklärt. Um Malin zu schaden, muss man belegen, dass er ein Verbrecher ist. Ich weiß nicht, dass er ein Verbrecher
ist … oder, ich kann es nicht beweisen. Ich weiß nur, dass er ein reicher Russe ist und ich Dinge für ihn besitze.« Er lehnte sich zurück und versuchte, etwas in seiner Hosentasche zu finden; es klang, als sei sie voller Kleingeld. Schließlich zog er ein kleines rechteckiges Stück Plastik heraus und zeigte es Webster. »Hier drauf befindet sich alles, was ich weiß. Jedes Dokument von meinem Computer – jeder Transfer, jedes Unternehmen, jede Anweisung. Ich dachte, ich sollte das Material irgendwo sicher verwahren, falls ich es einmal brauche. Aber das Witzige – wissen Sie, was das Witzige ist?«
    »Nein.«
    »Das Witzige ist, dass es so sauber ist. Geld wandert von hier nach da, es kauft Dinge, es wächst, aber ich weiß nicht, wo es herkommt. Fünfzehn Jahre lang habe ich das gemacht, und ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung«, Lock klopfte die Silben mit der flachen Hand auf den Tisch, »wo irgendetwas davon herkommt. Ich rate, genauso wie Sie.«
    Webster spürte, wie sich sein Magen hob und herunterfiel. »Und was wusste Gerstman?«
    »Kannten Sie ihn?«
    »Ich habe ihn getroffen, bevor er starb.«
    Lock runzelte die Stirn ein wenig, als ob er etwas zum ersten Mal durchdachte. »Also waren Sie es.«
    »Ich würde gerne denken, dass ich es nicht war. Er wollte nicht mit mir reden.«
    »Wissen Sie, wie er starb?«
    »Ich habe eine Vorstellung. Mir schien er nicht der Typ zu sein, der Selbstmord begeht. Oder der es auf diese Weise macht. Also wusste er entweder etwas, oder das Ganze war eine Botschaft.«
    »An mich.«

    »Vielleicht.« Webster sah zu, wie Lock das verdaute. Jedenfalls, dachte er, hatte einer von ihnen beiden Gerstmans Tod

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