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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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gelesen, dass man über sein Handy geortet werden konnte, auch wenn man es gar nicht benutzte, weil es oft nur scheinbar ausgeschaltet war. Er blieb stehen und nahm aus allen dreien den Akku und steckte die Einzelteile in verschiedene Taschen.
    Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal nachts allein in einem leeren Park gewesen war. Er fühlte sich wie ein Teenager. Sein Mantel bot wenig Schutz, und die Bäume hatten schon fast alle Blätter verloren, doch es machte ihm nichts aus, nass zu werden. Er ging über die riesige Grasfläche, das Gesicht zum Himmel erhoben. Seine Hosenbeine flatterten im frischen Wind kalt um seine Waden. Um die Ränder des Parks herum lag London wie eine dünne Grenze.

    Als der Holland Park in Richtung der Straße schmaler wurde, begann er sich zu fragen, wie er den Zaun überwinden sollte. Was, wenn er sehr hoch war? Er konnte sich nicht erinnern, was ihn am anderen Ende erwartete. Zwischen den Bäumen erkannte er ein Stück Mauer und hinter dichten Sträuchern einen Zaun. Es sah hoch genug aus, um schwierig zu werden, aber nicht unmöglich. Als er näher kam, sah er aber, dass die Mauer von offenen Bögen unterbrochen war, und am Ende ging er einfach hindurch und nach Kensington hinein. Er fühlte sich leicht wie eine Wolke.

    Als frisch Befreiter war Lock überrascht, dass er zu wissen schien, was er nun zu tun hatte. Es war halb eins. Keine Flüge, keine Züge nach Paris, wahrscheinlich überhaupt keine Züge irgendwohin. Heute Nacht würde er sich in London verstecken. Er lief die Kensington High Street hinauf, bis er eine Bank fand, und hob an deren Geldautomat so viel Geld ab, wie er konnte. Dann nahm er eine Seitenstraße, die südlich vom Park wegführte, in Richtung Earl’s Court. Er sah niemanden. In den Häusern entlang der Straße brannten nur noch vereinzelt Lichter; London war zu Bett gegangen. Hin und wieder fuhr ein Auto an ihm vorbei, und er wehrte sich gegen den Impuls, sich umzudrehen und danach zu schauen. In der Cromwell Road blieb er ein oder zwei Minuten lang stehen, dann hielt er ein Taxi an und sagte dem Fahrer, er solle ihn nach Victoria fahren.
    Er ließ den Fahrer am Bahnhof halten, bezahlte ihn, gab ihm ein gutes Trinkgeld und machte sich auf die Suche nach einem Hotel. An den Hauptstraßen ging er an großen Business-Hotels vorbei, langweilig und anonym, aber sie waren nicht das, was er suchte. Schließlich bog er in eine schmale
Seitenstraße ein, in der jedes Haus eine Pension war: Zimmer mit Bad und TV. Durch ihre Glastüren konnte er gestreifte Tapeten und schmutzigbraune Teppichböden sehen, buchenfurnierte Möbel und helle Neonbeleuchtung, aber weder Gäste noch Angestellte, überhaupt keine Menschen. Schilder in den Fenstern informierten darüber, wo noch Zimmer frei waren. Er fragte sich, wer in diesen Häusern abstieg, und musste sich eingestehen, dass er keine Ahnung hatte. Vertreter? Flüchtlinge der einen oder anderen Art? Ausgerissene Geldwäscher?
    Er lief die Straße entlang zurück und fand ein Haus, das ein wenig ordentlicher wirkte als die anderen: das Hotel Carlisle. In Blumentöpfen auf den Fenstersimsen gab es Geranien, ein wenig schmuddelig, und die Eingangshalle war vom warmen Licht einer Stehlampe erleuchtet.
    Auf sein Läuten erschien eine forsche, griesgrämige Frau an der Tür. Sie brauchte nicht mal eine Minute, um sein Geld entgegenzunehmen und ihm zu sagen, wo er Zimmer 28 finden konnte. Er sagte ihr, er heiße Alan Norman, ein Name, der, als er ihn aussprach, so offensichtlich erfunden klang, dass er sich sicher war, sie würde ihn anzweifeln. Aber sie zeigte kein Interesse, und zu seiner Erleichterung verlangte sie auch nicht, seinen Pass zu sehen. Niemand würde ihn hier finden.
    Zimmer 28, am Ende des Hauses, blickte auf die Rückseiten anderer georgianischer Häuser und ein Sammelsurium von Leichtindustrie und Lagerhallen. Es war klein, es gab gerade genug Platz für zwei Einzelbetten mit einem Nachttisch dazwischen und einen Pinienschrank, der so nahe bei einem der Betten stand, dass sich seine Tür nur dreißig Zentimeter weit öffnen ließ. Die Raufasertapeten waren in
einem kränklichen grellen Grün gestrichen, und in einer Ecke warf der Schirm der Deckenlampe einen Lichtkegel auf den blauen Bezug eines der Betten, alles andere blieb im Halbdunkel. Das angekündigte Bad im Zimmer bestand aus einer Dusche mit ausgeleierter Plastik-Falttür und einem winzigen Waschbecken, das über die Toilette ragte. Einen

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