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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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nichts. Er fühlte sich müde.
    »Hör zu, Liebling. Ich muss aufhören. Ich werde ein paar Tage sehr beschäftigt sein. Ich … ich rufe wieder an.«
    »Okay.«
    »Gibst du Vika einen Kuss von mir?«
    »Natürlich. Sei vorsichtig. Bitte.«
    »Das werde ich.«
    »Wenn es nicht funktioniert, ich habe einen Anwalt für dich gefunden.«

    Am nächsten Tag um zwölf Uhr wurde Lock unruhig. Nina hatte noch nicht angerufen, und er fing an, den Brief zu bereuen. Es war Zeit, mit dem Hinausschieben aufzuhören. Bei seinem ersten Anruf nahm niemand ab, aber er hinterließ keine Nachricht. Bei seinem zweiten Anruf, zwei Stunden später, sprach er auf den Anrufbeantworter, wer er war und dass er momentan in Berlin sei und sich freuen würde, sie zu sehen. Er könnte zu ihr kommen, oder sie könnte zu ihm ins Hotel Daniel kommen.
    Um drei rief sie an; es war ein kurzes Gespräch. Sie wollte niemanden sehen, der mit Dmitris alter Welt zu tun hatte; er solle es nicht persönlich nehmen, und sie wäre ihm dankbar,
wenn er sie in Ruhe ließe. Er versuchte ihr zu sagen, dass er nicht mehr für Malin arbeitete, aber sie hatte sich eindeutig bereits entschieden. Als er den Hörer hinlegte, fragte er sich, was Webster getan hätte, um sie am Reden zu halten – und was würde er nun tun, um ein Treffen zu erzwingen?
    Lock war den ganzen Tag in seinem Hotelzimmer geblieben, hatte Middlemarch gelesen, den Reiseführer studiert und Scotch getrunken. Er hatte gefrühstückt, aber nichts zu Mittag gegessen, und sein Kopf fühlte sich leicht und angespannt zugleich an. Wie sollte er mit Ninas Weigerung umgehen: War es das Ende oder lediglich ein Hindernis? Er begriff, dass ein Teil von ihm nie daran geglaubt hatte, dass Nina einen Unterschied machen würde; ein anderer Teil sehnte sich danach, dass sie es tat. Es hatte die Nacht über geschneit, und es schneite vor seinem Fenster auch jetzt noch weiter.
    Er entschloss sich, in die Stadt zu gehen. Er konnte heute ohnehin nicht abreisen, nicht bei diesem Schnee, und er brauchte Luft und Nahrung. Und neue Schuhe. Der Matsch auf dem Bürgersteig war stellenweise gefroren, und auf seinen Ledersohlen bewegte er sich unsicher in Richtung Norden, über den Kanal und die Friedrichstraße hinauf, leicht nach vorn gebeugt, um das Gleichgewicht zu halten, und jedes Mal, wenn er ins Rutschen kam, korrigierte er sich mit einem Ruck. Wenn es nur aufhören würde zu schneien, könnte er mit dem Auto in einem Tag in der Schweiz sein. Er fragte sich, wie viel weiter südlich der Schnee noch fiel. Er durchquerte Checkpoint Charlie und blieb einen Moment lang stehen, um die Informationstafeln zu lesen, die die Bauplätze auf beiden Seiten der Straße verdeckten. Menschen hatten die innerdeutsche Grenze in Koffern überwunden, in
Autos, die als Leichenwagen hergerichtet waren, in Heißluftballons, an Seilrutschen und auf unzähligen anderen, unvorstellbaren Wegen. Viele hatten es versucht und den Übergang nicht geschafft; erschossen von den Schussautomaten, die auf jeden Zentimeter der Grenze gerichtet waren oder von den Grenzsoldaten, die sich selbst danach sehnten, die Mauer zu überqueren. Einige waren im Todesstreifen vor der Mauer verblutet, weil die Soldaten auf beiden Seiten ihnen weder zu Hilfe kommen wollten noch durften. Alle in eine Richtung. Niemand war in die andere Richtung über die Mauer gegangen.
    Er stand gerade in einem Geschäft für Campingartikel, als Webster anrief. Das Telefon machte ein irritierend zwitscherndes, ihm fremdes Geräusch, und er brauchte einen Moment, um zu merken, dass es sein eigenes war. Er zog das Handy aus der Tasche und schaute es eine Zeit lang an, in der Hoffnung, die Voicemail würde sich melden, aber es klingelte einfach zwitschernd weiter.
    »Hallo«, sagte er schließlich.
    »Richard, hier ist Ben. Wie läuft es?«
    »Ben, hallo. Ganz okay. Es läuft ganz okay.«
    »Wie kommen Sie voran?«
    »Sie will mich nicht sehen.«
    »Warum nicht?«
    »Sie sagt, sie will niemanden aus meiner Welt sehen. Ich habe versucht, ihr zu erklären, dass es nicht mehr meine Welt ist, aber ich bin nicht zu ihr durchgekommen.«
    »Was tun Sie jetzt?«
    »Ich probiere Schuhe an.«
    Webster sagte einen Moment gar nichts. »Was werden Sie tun?«

    »Ich weiß es nicht. Hier schneit es wie verrückt.«
    »Richard, wollen Sie sich mit Nina treffen?«
    »Ich weiß es nicht. Doch. Ja, ich glaube schon.«
    »Warum gehen Sie dann nicht hin und treffen sich mit ihr?«
    Lock dachte einen Moment

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