Der Lockvogel
der Außenwirkung. Tourna wäre nicht gerade ein Referenzkunde. Mir ist das egal, aber ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Vor allem jedoch ist Malin ein großer Fisch, der seine eigenen Sicherheitsleute haben wird, und zwar gute, und er hat eine Menge zu verlieren.«
»Was kann er schlimmstenfalls tun?«
»Seine Leute auf uns ansetzen, Dreck aufwühlen, uns das Leben schwermachen, besonders in Russland. Mein Visum widerrufen lassen, was ärgerlich wäre.«
»Wird er Sie erschießen?«
Webster lachte: »Das glaube ich kaum. In der Regel bringen sie keine Ausländer um. Aber trotzdem Danke.«
»Was ist mit unseren Informanten in Russland?«
»Ich glaube, für sie gilt das Gleiche. Falls Malin Wind von uns bekommt, wird er sie bedrohen, möglicherweise dafür sorgen, dass sie ihren Job verlieren. Aber vielleicht müssen wir gar nicht so viel in Russland machen. Wenn Malin irgendwo verletzlich ist, dann am ehesten im Ausland. Vielleicht gibt es auch etwas in seiner Vergangenheit.«
Hammer verschränkte die Arme und strahlte Webster an. »Das ist ein dickes Ding, nicht wahr? Haben Sie schon irgendwelche Gedanken?«
»Du lieber Gott, ja. Mein Kopf schwirrt vor Ideen. Das ist einmal ein Fall, bei dem Sie mich im Zaum halten müssen.«
»Das wird eine neue Erfahrung sein.«
Webster machte eine Pause. Draußen stiegen zwei Männer aus einem Taxi und mühten sich mit Kartons voller Gerichtsakten ab. Er wandte sich Hammer zu. »Okay. Ich muss Ihnen gegenüber ehrlich sein. Ich habe auf diesen Fall gewartet. Oder auf einen ähnlichen. Mein Urteil ist womöglich subjektiv.«
»Sie wollen die Korruption bekämpfen?«
»Etwas in der Art.«
Für einen Moment sagte keiner etwas.
»Vielleicht sollten wir den Fall nicht annehmen«, sagte Webster schließlich.
»Können wir denn tun, was er will?«
»Wir müssten großes Glück haben und sehr geschickt vorgehen.«
Hammer lehnte sich vertraulich vor und senkte seine Stimme: »Ich denke, dieser Fall hat das Zeug zu einem Meilenstein.«
»Ich hatte mir schon gedacht, dass Sie das sagen würden.« Webster spürte ein Flattern in seiner Brust.
»Sagen Sie Tourna, wir wollen zwei Millionen US-Dollar als Vorschuss. Wir verrechnen das und stellen ihm bis zum Ende des Projekts eine Million pro Monat in Rechnung. Wenn wir ihm seine fünfzig Millionen wiederbeschaffen, wollen wir fünf Prozent. Wenn wir Malin erledigen, wollen wir weitere zehn Millionen.«
»Das meinen Sie ernst.«
»Das tue ich. Sie haben es selbst gesagt: Wenn wir diesen Fall lösen können, ohne viel in Russland zu machen, fantastisch. Wenn nicht, haben wir nichts verloren und werden wahrscheinlich Tourna zumindest sein Geld zurückholen. Wenn Malin herumtobt, wird sich das wieder legen, und bis dahin können Sie ja ein paar Fälle in Kasachstan übernehmen. Schließlich haben wir kein Büro in Moskau, das man überfallen oder Angestellte, die man einbuchten könnte.« Er machte eine Pause. »Wo lebt Lock?«
»Moskau.«
»Das ist eine Schande.«
»Warum?«
»Weil er schon für Malin zu arbeiten begonnen hat, bevor die beiden wussten, was sie tun. Das heißt, er kennt Malins Schwachstellen. Und wenn Sie recht haben, ist er nicht gerade kampferprobt. Locken Sie ihn aus Moskau heraus. Dort lebt er zu geschützt.«
»Mit Vergnügen.«
»Er ist viel wert für uns. Heften Sie sich an seine Fersen.«
3
London war ein Tor für Lock. Er machte hier oft Zwischenstation auf dem Weg in seine Inselwelt, wo die Sonne schien und er die Kontrolle hatte. Doch in einem tieferen Sinn war London das Tor zu einem Leben, das ihm in Moskau verschlossen blieb. Er kaufte seine Anzüge dort – bei Henry Poole, dem ältesten Herrenschneider in der Savile Row, wie er einmal zu seiner Befriedigung entdeckt hatte – und auch seine Hemden und Krawatten, Schuhe und Socken, die ihn seiner Meinung nach von seinen russischen Kollegen abhoben. Dort konnte er seine Anwälte herumkommandieren, sich die Haare schneiden lassen, gut essen gehen mit den wenigen Freunden, die er noch hatte, und sich für kurze Zeit wie sein altes Ich fühlen, als Teil einer selbstbewussten, vornehmen Bruderschaft, Gleicher unter Gleichen. In London traf er sich auch gelegentlich mit seiner Familie.
Bei seinen letzten Besuchen hatte er Marina oder Vika jedoch nicht gesehen. Er redete sich ein, dass es gute Gründe dafür gab: Meist war er nur auf der Durchreise und gar nicht lange genug in der Stadt, und je größer Malins geheimes Imperium wurde, desto
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