Der Lockvogel
hart und hell mit glänzend poliertem Marmorboden, die lederbezogenen Möbel fast unbenutzt, die Küche überflüssig, das ganze Ding im Moment und auch ansonsten leer; und seine Tochter in ihrem T-Shirt, die unter ihm tanzte und sich drehte.
Er wollte weg vom Geld. So viel wusste er. In seiner Welt war jeder Akt eine Transaktion, jede Beziehung ein misstrauischer Vertrag. Er hatte sich immer für einen kleinen, aber gerissenen Spieler in diesem Spiel gehalten, doch in Monaco war ihm zum ersten Mal klar geworden, welchen Preis das Mitspielen forderte, welchen hohen und wahrscheinlich unvermeidlichen Preis.
Er schaute Marina an. Wie oft hatte er so dagesessen, ihr Profil im Blick und unfähig, die richtigen Worte zu finden, damit sie sich ihm zuwendete? Er spürte eine Welle von Schuldgefühlen und dann von Versagen in sich aufsteigen.
»Ich … ich würde euch gerne mehr sehen«, sagte er. »Euch beide.«
»Das hast du schon gesagt.«
»Nein, habe ich nicht. Ich habe gesagt, dass ich euch gerne öfter besuchen würde. Das ist etwas anderes.« Marina schloss die Augen und massierte ihren Nasenrücken. Er fuhr fort: »Ich will euch öfter sehen. Nicht nur besuchen, sondern Zeit mit euch verbringen. Etwas zusammen unternehmen.« Marina antwortete nicht. »Ganz normale Dinge eben.«
Sie wandte sich ihm zu, und er spürte die Kühle, die manchmal in ihren Augen lag.
»Du hast deine Arbeit zu erledigen, Richard. Das weißt du.« Sie machte eine Pause. »Geh weg aus Moskau. Finde einen Weg. Ich will das nicht mehr in unserer Familie haben.«
Lock nickte sanft, mit gesenktem Blick. »Und wenn ich das tue?«
Ihre Augen wurden weich. In solchen Momenten schienen sie zu sagen, dass es größeren Kummer gab als ihren eigenen. »Das Schlimmste daran war, zu sehen, wie du deine Orientierung verlierst. Das hasse ich immer noch.«
Er nickte wieder. Unter ihm zählte die Tanzlehrerin einen Viervierteltakt, und Vika, die sie aufmerksam betrachtete, versuchte, eine neue Schrittfolge zu tanzen. Orientierungslos. Das war ein gutes Wort für ihn. Er war weit vom Kurs abgekommen, vielleicht zu weit.
4
Manchmal, am Anfang eines Auftrages, suchte man den Boden ab, fand ihn unberührt und musste einfach zu graben beginnen, um zu sehen, was sich darunter befand; manchmal stellte man fest, dass er bereits von anderen durchwühlt worden war, und machte sich enthusiastisch in der lockeren Erde, die sie zurückgelassen hatten, an die Arbeit. Doch das hier war neu für Webster. Er konnte vermuten, was hier liegen musste und auch wo, fast konnte er es sehen, doch er kam nicht nahe genug heran, um mit dem Graben zu beginnen.
Nun saß er da, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, rutschte fast von seinem Stuhl, starrte an die Wand und fragte sich, was er tun sollte, wenn die Fläche zu klein wurde. Er hatte eine Skizze erstellt. Sie bestand aus acht großen Flipchart-Bögen und nahm eine ganze Wand seines Büros ein. Darauf schrieb er mit weichem schwarzem Bleistift alles Wichtige über das Projekt Schneeglöckchen (Ikertu, immer auf der Suche nach neuen Projektnamen, arbeitete sich derzeit durch die Blumenwelt). Er hatte oben links einen Kasten für Malin eingezeichnet, unten links einen für Faringdon; oben rechts stand Lock und unten rechts Gratschow. Jeder Kasten enthielt in kursiven Großbuchstaben wachsende Listen von Ideen, Merkmalen, Fakten. In der
Mitte des Diagramms hatte er eine Art komplexes Molekül skizziert, das sich nach außen ausbreitete: Kreise von unterschiedlicher Größe, durch Pfeile verbunden und mit Namen von Menschen, Unternehmen, Organisationen und Orten versehen: Lock, Malin, Faringdon, Langland, Uralsknefteprom, Rosenergo, Ministerium für Industrie und Energie, Kreml, Berlin, Cayman Islands, Irland. Mindestens ein Dutzend Kreise waren rot untermalt: Dominic Swift, Ken McGee, Savas Onder, Mikkel Friis, Marina Lock, Dmitri Gerstman und andere.
Seine Rechercheure hielten seine Bleistift-und-Papier-Methode für primitiv, wenn nicht gar lächerlich; sie hatten Datenbanken, die solche Informationen in Sekundenschnelle abbilden konnten und niemals etwas übersahen. Webster erklärte ihnen geduldig, dass seine Notizwand keine Berechnung darstellte, sondern eine zentimeterweise Annäherung an die Wahrheit; etwas, das Erfahrung und Intuition, Geduld und ein sanftes Auge verlangte. Dies hier war gleichzeitig großartiger und düsterer als eine Untersuchung von etwas so Banalem wie einem Verbrechen: Es war eine
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