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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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Treppenabsatz und eine Treppe hinunter. Er schaute zu, wie sie in den Gang einbog, in dem sich Locks Zimmer befand, dann ging er weiter, in die Lobby hinunter, aus dem Hotel hinaus und nach Hause, um zu warten.

11
    Jetzt riefen sie ihn schon an. Ikertu wusste, wo er war, sie wussten, wo er gewesen war, und jetzt riefen sie ihn an. Vielleicht konnten sie ihm sagen, was mit ihm geschehen würde. Er wollte es dringend wissen. Dieser Webster betrieb ein seltsames Geschäft. Die Polizei auf den Cayman Islands konnte er verstehen, die hatten eine Funktion, aber welcher Mensch tanzte nach der Pfeife eines Mannes wie Tourna?
    Lock war halb ausgezogen. Als er nach dem Abendessen mit Onder ins Hotel zurückgekommen war, hatte er Jackett, Schuhe und Hose ausgezogen und sich einen Scotch eingeschenkt. Gin schien an diesem Abend nicht zu wirken. Bei Websters Anruf hatte er auf seinem Bett gesessen und versucht, im Fernsehen einen passenden Film zu finden. Sein Körper war durcheinander: Eine Hälfte war vier Stunden östlich von hier, die andere Hälfte zehn Stunden westlich, und er hatte keine Ahnung, ob er müde war oder nicht. Er wollte aber nicht schlafen. Er brauchte etwas, um seinen Geist zu beschäftigen.
    Er schaltete sich durch das Video-on-Demand-Angebot des Hotels. Keine Gangsterfilme, dachte er, keine Liebesfilme, weder komische noch rührende, auch nichts Dramatisches. Sinnfreie Action war alles, was er ertragen konnte.
    Lock starrte den aufgelegten Telefonhörer an. Was hatte
Webster wirklich gewollt? Wissen, dass er in seinem Zimmer war? Ihn nervös machen wahrscheinlich. Wie komisch, dass Ikertu ihn nun ärgerte; wie komisch, dass er vor nur einem Tag noch auf den Cayman Islands gewesen war und gewagt hatte zu denken, das Leben müsse doch nicht völlig schlecht sein. Er wäre dort geblieben, hätte er die Chance gehabt. Unter all den Inseln in seiner Offshore-Welt hatte Lock die Caymans immer besonders gemocht. Sie waren winzig, wie eine Kleinstadt; nichts passierte dort, das Wetter war immer gleich. Es gab einen elf Kilometer langen Strand.
    Vor vielen Jahren hatte Lock Marina einmal auf die Hauptinsel Grand Cayman mitgenommen. Er wollte, dass sie sah, was er sah, wenn er unterwegs war, dass sie wusste, wie großzügig die Welt sein konnte. Sie stiegen im Ritz-Carlton ab, einem neugebauten Palast am Meer, in einer riesigen Suite mit Blick auf den Elf-Kilometer-Strand. Sie hatte zwei Badezimmer und eine Küche, die sie nie benutzten. Die Wände waren in einem geschmackvollen Gelb gehalten, das manchmal wie Cremefarbe aussah, und die drei gläsernen Balkontüren hatten Schabracken aus einem tiefroten, leicht rustikal wirkenden Stoff. An ihrem ersten Morgen hatte der Jetlag sie früh erwachen lassen, und sie waren hinunter ans Meer gegangen, um vor Sonnenaufgang zu schwimmen. Als sie den Sand betraten, joggte ein alter Mann in Shorts und Baseballmütze an ihnen vorbei, sonst sahen sie niemanden. Das Wasser war ganz ruhig gewesen, sie ließen ihre weißen Bademäntel und Plastikslipper aus dem Hotel einfach fallen und rannten zusammen hinein. Lock tauchte unter, als das Wasser seine Knie erreichte, Marina schrie auf, verblüfft über die Wärme des Wassers. Am östlichen Horizont
war die Dämmerung eine schmale Linie aus Bronze hinter schwarzen Wolken.
    Sie verbrachten eine Woche auf Grand Cayman und die meiste Zeit davon im Hotel. Jeden Morgen frühstückten sie auf der Terrasse – Papayas und Mangos, Eier mit gekochtem Schinken, ein Korb Brot und Kuchen, die sie immer liegen ließen –, und dann lagen sie am Strand, lasen und schwammen im leuchtenden Meer. Marina hielt sich im Schatten. Sie las Middlemarch , wie er sich erinnerte, ein Buch, das er nie zu Ende gebracht hatte. Abends joggte er am Strand entlang, der feine Sand unter seinen nackten Füßen erschwerte das Laufen. Nachts spürte er die elektrische Spannung zwischen seiner gebräunten, dunklen Haut und ihrem kühlen, blassen Körper, der von der Sonne unberührt war.
    Nach drei Tagen wollte Marina das Hotel verlassen und die Insel erkunden. Sie mieteten Mopeds und fuhren die Küstenstraße entlang, drei Viertel um die Insel herum. Zu ihrer Linken, hinter Gebüsch und einem Dickicht von Wasserbirken, gab es Hotels und Golfplätze, zu ihrer Rechten nur das Meer. Am Rum Point machten sie Rast in einer Bar, aßen Sandwiches und tranken kaltes Bier in einer niedrigen Hütte auf dem weißen Sand. Marina hatte weiterfahren wollen, und Lock musste ihr

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