Der Lockvogel
große Treppe durch das Hotel. Im dritten Stock wandte er sich nach rechts und dann wieder nach rechts. 316, 318. Am Ende dieses Flurs kreuzte ein weiterer Korridor. 324 war auf der rechten Seite. Als Webster um die Ecke bog, sah er einen großen Mann mit kurzem grauem Haar, der vor einem der Zimmer stand. Er trug einen dunklen Anzug mit grauem Rollkragenpullover und hatte die Hände vor dem Körper gefaltet. Er schaute auf, als Webster an ihm vorbeiging. Webster warf ihm einen beiläufigen Blick zu, ging weiter und bog in einen anderen Korridor ab, der von diesem abzweigte und zur Treppe zurückführte.
Ein Bodyguard. Lock stand unter Bewachung. Das bedeutete aber auch, dass Lock in seinem Zimmer war.
Webster ging in die Lobby und fragte an der Rezeption, wie er ein internes Telefongespräch führen konnte. Ein Page zeigte ihm eine Reihe Telefone in einer stillen Passage. Webster
wählte und das Telefon klingelte, viermal. Es hatte ein langes Klingeln, wie bei einer amerikanischen Verbindung.
»Ja.« Ein kurzes Ja. Lock klang gereizt. Webster war von der Stimme überrascht. Sie war angenehm und volltönend.
»Mr. Lock?«
»Ja.«
»Bitte entschuldigen Sie, dass ich so spät noch anrufe, Mr. Lock. Hier spricht Benedict Webster. Von Ikertu.« Er machte eine Pause. »Ich hatte gehofft, wir könnten uns unterhalten.«
Webster hörte nur Stille, nicht einmal Atemzüge. Er fragte sich, ob Lock den Hörer noch am Ohr oder ob er ihn neben sich gelegt hatte.
Schließlich antwortete Lock, nicht flüsternd, aber sehr leise. »Woher wissen Sie, wo ich bin?«
»Ich bin Detektiv. Ich habe die großen Hotels angerufen.«
»Woher wissen Sie, dass ich in London bin?«
»Ich nahm an, Sie würden nach den Caymans hier vorbeikommen.«
Wieder Stille. »Weiß Tourna, dass Sie mit mir reden?«
»Niemand weiß das. Nur mein Chef.«
»Was wollen Sie? Es ist spät.«
»Ich glaube, unsere Interessen sind ähnlicher, als Sie vielleicht denken.« Ein Pärchen ging an Webster vorbei, und er betrachtete sie flüchtig; der Mann ging etwas weiter vorne, keiner von beiden sagte etwas. Lock ließ sich Zeit. Onder hatte recht, er war am Nachdenken. Bevor er zu viel denken konnte, sagte Webster: »Ich bin unten in der Lobby. Wir können uns jetzt gleich treffen.« Wieder eine Pause. »Falls Ihr Bodyguard ein Problem ist, gebe ich Ihnen einen Tipp, wie Sie ihn abhängen können.«
Das war zu viel. »Wir haben nichts zu besprechen«, sagte Lock, lauter jetzt und steifer als vorher. »Außer es handelt sich um einen Vergleich.«
»Bitte verstehen Sie doch, Mr. Lock. Wir interessieren uns für Konstantin Malin, nicht für Sie.«
»Ich habe nichts zu sagen. Mr. Malin ist ein Freund. Sie haben meine Geschäftspartner überall auf der Welt belästigt und Schmutz aufgewirbelt, wo gar keiner ist. Und jetzt verfolgen Sie mich. Gute Nacht. Wenn Sie noch einmal anrufen, werde ich die Polizei verständigen.« Er legte auf.
Webster legte den Hörer zurück auf die Gabel und dachte einen Augenblick nach. Das war vielversprechend. Er suchte den nächsten Aufzug und fuhr in den vierten Stock hinauf. Er ging einen breiten Korridor entlang, dann einen zweiten, dann einen dritten. Vor einem Zimmer, das direkt über dem von Lock liegen musste, stand ein großer Wagen, der mit Handtüchern, Toilettenpapier, Briefpapier, Seife und Shampoo-Flaschen beladen war. Die Tür des Zimmers war offen, und Webster wartete ein paar Meter entfernt, bis das Zimmermädchen herauskam. Sie war jung und untersetzt, ihr blondes Haar war zu einem Dutt zusammengebunden. Sie schloss die Tür hinter sich.
»Guten Abend«, sagte Webster und ging zu ihr. Das Zimmermädchen drehte sich zu ihm um. »Ich würde Sie gerne um einen Gefallen bitten.«
Aus einer Innentasche seines Jacketts zog er einen Kugelschreiber und eine seiner Visitenkarten hervor und schrieb etwas auf die freie Seite. Dann nahm er einen Umschlag von dem Wagen, steckte die Karte hinein und gab dem Zimmermädchen zwei Zwanzig-Pfund-Scheine.
»Würden Sie das hier dem Herrn in Zimmer 324 geben?
Es ist sehr wichtig, dass der Mann vor der Tür es nicht sieht. Legen Sie es in ein paar Handtücher oder so etwas.«
Das Zimmermädchen schaute ihn zweifelnd an.
»Es ist in Ordnung. Es ist sonst nichts dabei. Könnten Sie es jetzt gleich machen?«
Sie schob den Wagen von der Tür weg und parkte ihn sorgfältig an einer Wand. Dann ging sie in Richtung der Hintertreppe. Webster folgte ihr, den Korridor entlang, über den
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