ich es wagen konnte, das Land zu verlassen. Ich wollte nicht von Drogenspürhunden und Zollbeamten aufs Korn genommen werden.
Nachdem ich mir die Zähne geputzt und das Gesicht gewaschen hatte, war ich wieder hellwach. Ich sah zum Fenster hinaus. Die prächtige Katze, die mir geholfen hatte, das Zimmer zu bekommen, lag auf dem Platz vor dem Restaurant und erweckte den Eindruck, das ganze Dorf gehöre ihr. Sonst war niemand zu sehen. Aus dem zweiten Fenster hatte man einen weiten Blick ins Tal und auf die Berge, in den Dörfern funkelten Lichter. An der Wand hing wie zum Spott ein Bild von Guidoriccio zu Pferd. Ich wollte Montemassi nicht erobern, sondern hinter mir lassen.
Ich nahm Davids Handy aus der Tasche. In der Zwischenzeit waren keine Anrufe und keine SMS eingegangen. Als ich die unbeantworteten Anrufe überprüfte, stellte ich fest, dass die letzten von meinem eigenen Handy gekommen waren. Im Übrigen war die Liste der eingegangenen Anrufe fast leer. David hatte offenbar die Angewohnheit, die Daten regelmäßig zu löschen. Es fanden sich nur zwei Nummern, meine eigene und eine italienische. Ich notierte sie und nahm mir vor, von irgendeiner Telefonzelle aus dort anzurufen. Die Liste der angenommenen Gespräche war leer. Ich verfluchte Davids kluge Vorsicht.
Den Ordner mit den SMS fand ich nicht sofort, denn das Handy war ein Samsung-Modell, mit dem ich mich nicht auskannte, und David hatte als Spracheinstellung Italienisch gewählt. Doch nachdem ich eine Weile herumgeklickt hatte, entdeckte ich den richtigen Menüpunkt. Die einzigen gespeicherten SMS stammten von mir. Meine Liebesschwüre waren mir so peinlich, dass ich die Augen zukniff. David hatte sie gespeichert, obwohl sie ihm doch offenbar nichts bedeuteten. Als es ernst wurde, war er einfach abgehauen. Oder hatte er gar vorgehabt, mir einen Mord in die Schuhe zu schieben? Nein, das wohl nicht. David war einfach in irgendeine Sache verwickelt, in die er mich nicht hatte einweihen wollen. Eine hartnäckige Stimme in meinem Kopf redete mir ein, er habe womöglich keine Wahl gehabt. Vielleicht hatte jemand die Polizei irreführen wollen, indem er die Leichen tauschte, und David lag jetzt in der Wohnung des barfüßigen Mannes, so tot wie dieser.
Als Nächstes rief ich das Telefonbuch auf. Es enthielt nur vier Namen. Der erste lautete «Lusis». Ich klickte ihn an und sah meine eigene Telefonnummer.
Lusis
war das lettische Wort für Luchs. Wir hatten die Angewohnheit, uns gegenseitig mit den verschiedenen Wörtern für den Luchs anzureden. Als David mir von Spanien aus mitgeteilt hatte, dass er bei der Explosion der Yacht im Finnischen Meerbusen mit dem Leben davongekommen war, hatte er mich gebeten, ihm unter der Adresse
[email protected]zu schreiben. Die existierte jetzt nicht mehr.
Auch die drei anderen Nummern waren nach Tieren benannt: Hund, Kass und Cavallo. Hund auf Schwedisch oder Deutsch, Katze auf Estnisch und Pferd auf Italienisch. Steckte irgendeine Logik dahinter, bezogen sich die Sprachen auf die Nationalität der betreffenden Person? Aber in meinem Fall war es ja nicht so. Der Vorwahl nach befanden sich Hund und Pferd in Italien, Katze in Finnland. Ich notierte die Telefonnummern sowohl im Speicher meines Handys als auch auf zwei Zetteln. Dann legte ich mich ins Bett und versuchte, noch einmal Schlaf zu finden. Ich wälzte mich hin und her, hörte noch, wie die Uhr vier schlug, doch dann sank ich in herrliche, traumlose Schwärze.
Als ich gegen acht Uhr aufwachte, war der Platz voller Geräusche. Ein Mann brüllte etwas in einer Sprache, die ich nicht identifizieren konnte, ein anderer antwortete auf Italienisch, Autotüren schlugen. Aus dem Restaurant stieg der Geruch von Espresso und frischem Brot herauf. Genau das, was ich brauchte. Ich zog mich an, legte Davids Handy, die Papiere und das Kaleidoskop in meinen Koffer, schloss ihn ab und ging auf die Terrasse, wo das Frühstück serviert wurde. Dort hielten sich außer mir nur ein älteres deutsches Ehepaar und die flauschige schwarze Katze auf. Sie war sehr zutraulich, sprang auf meinen Tisch und schnurrte fordernd, wollte gestreichelt werden. Das Geräusch erinnerte mich an meine Kindheitsgefährtin, das Luchsweibchen Frida, das genauso tief und kräftig gebrummt hatte. Als die Kellnerin kam, um sich nach meinen Frühstückswünschen zu erkundigen, scheuchte sie die Katze nicht fort, denn sie sah, dass ich sie mochte.
Nach dem Frühstück machte ich einen Spaziergang. Sollte