Der Lord und die Betrügerin
sofort. Es galoppierte über die feuchten Felder mit dem verblichenen Gras, donnerte über den unebenen Untergrund mit langen, ausgreifenden Schritten. Kiera fühlte den Wind in ihrem
Gesicht, ihre Finger umklammerten die Zügel, die Mähne des Pferdes schlug ihr ins Gesicht. Der Nebel lichtete sich nun langsam, und sie sah schon das Schloss, dessen Türme in den tief hängenden Wolken verschwanden.
Es bestand noch immer die Möglichkeit, dass Penelope Elyn im Inneren des Schlosses gefunden hatte. Vielleicht war sie ja jetzt schon bei ihrem Ehemann... Bei diesem Gedanken verspürte Kiera einen dicken Kloß in ihrem Hals. Konnte ihre Schwester unauffällig ihren Platz in Kelans Bett einnehmen? War es möglich, dass Elyn eine letzte Liebesnacht mit Brock verbracht hatte und dann unentdeckt zurück ins Schloss geschlüpft war, um Kelan, ihren Ehemann, zu ihrem Geliebten zu nehmen? Der Gedanke war wie Eis in Kieras Herz, obwohl sie lieber nicht darüber nachdenken wollte, warum sie das derart beschäftigte.
Sie zerrte an den Zügeln und lenkte Garnet auf den ausgefahrenen, lehmigen Weg, der zum Haupttor des Schlosses führte. Schmutz spritzte von den Hufen des Pferdes auf, und der Wind zerrte an ihrer Kapuze. Ihr Herz schlug heftig, doch nicht so sehr von dem wilden Ritt, sondern wegen ihrer Gedanken an Kelan. Wenn Elyn zurückgekommen war, würde Kiera Kelan aus dem Weg gehen müssen. Aber wenn ihre Schwester nicht im Schloss war, würde Kiera den Platz in seinem Bett wieder einnehmen müssen. Wenn auch aus keinem anderen Grund als dem, ihn in dem Zimmer zu halten.
Ihr Herz hüpfte bei diesem Gedanken, denn nichts würde ihr besser gefallen, als noch eine weitere Nacht die Geheimnisse und die Freuden des Liebesspieles zu lernen, und dennoch... Es wäre natürlich besser, wenn sie nie wieder mit Kelan zusammen wäre, wenn sie nie wieder seine Hände auf ihrem Körper fühlen würde. Je eher sie ihre dummen Fantasien beiseite schieben würde, desto besser wäre es für alle Beteiligten.
Sie galoppierte um den Wagen des Müllers herum, der mit Mehlsäcken beladen war. Seine Ochsen legten sich mit aller Kraft ins Joch, und der Müller brüllte ihnen seine Befehle zu. Sie verlangsamte das Tempo ihres Pferdes, als sie die Zugbrücke erreichte. Sie lenkte die Stute an einer Frau vorüber, die vier Kinder durch das Haupttor des Schlosses führte, und musste beinahe absteigen, als der Esel eines Händlers sich weigerte, einen überladenen Wagen an den Wachleuten vorbeizuziehen. Silberne Anhänger klimperten an dem Wagen, und der Händler knallte mit hochrotem Gesicht zornig die Peitsche, um das ungehorsame Tier anzutreiben.
»Beweg dich, du verdammtes Vieh!«, schrie der Händler, während Kiera ihre Stute durch die schmale Öffnung zwischen dem Karren und der Mauer des Tors hindurchmanövrierte. Das Pferd spitzte die Ohren und lief dann zielsicher zum Stall, wo Orson, der auf einem Baumstumpf hockte, mit kritischem Blick den Stalljungen beobachtete, der ein junges, störrisches Hengstfohlen an der Leine hielt.
»Du darfst nicht gegen ihn kämpfen!«, rief Orson, während das schwarze Hengstfohlen hochstieg und dann den Kopf zurückwarf und um den Jungen herumrannte. »Hey, Junge, lass ihn wissen, dass du der Herr bist, aber mit sanften Berührungen. Ah... so ist es richtig.« Das Fohlen ließ sich vorübergehend bändigen und trabte nun brav im Kreis.
Kiera hielt Garnet an - was die Mühe des Jungen zunichte machte. Das Fohlen scheute und hätte fast dem Jungen die Leine aus der Hand gerissen, doch der landete lediglich auf dem Hosenboden und hielt das Seil des schwitzenden, wild mit den Augen rollenden Fohlens fest.
»Lass ihn jetzt nicht los«, warnte Orson den Jungen und schüttelte den Kopf. Er zog seine Kappe ab, kratzte sich am Kopf und setzte dann die wollene Kappe wieder auf. »Verflixtes Biest.«
Kiera stieg von ihrem Pferd, und Orson sah in ihre Richtung. Kleine Fältchen zeigten sich in den Winkeln seiner alten Augen, als sie ihm die Zügel hinhielt.
»War es ein guter Ritt?«, fragte er.
»Perfekt.« Kiera tätschelte der Stute den Hals und versuchte, nach außen hin ruhig zu erscheinen. Sie lugte zum Fenster von Elyns Zimmer, doch konnte sie niemanden dahinter entdecken. »Garnet läuft wie der Wind.«
Orson nahm ihr die Zügel ab, gerade als Kiera Penelope entdeckte, die den Weg zum Stall entlanggelaufen kam. Als sie Kiera sah, bewegte sie so heftig den Kopf hin und her, dass es aussah, als wolle sie
Weitere Kostenlose Bücher