Der Lüge schöner Schein
anscheinend durchgeschlagen.
»Wieso interessieren Sie sich so für den alten JP ?«, fragte Bell neugierig. »Wegen dem Streit? Wenn ja, sollte ich dazu lieber nichts sagen. Nicht beim Plaudern im Haus eines Freundes.«
Nicht in offizieller Mission hier zu sein, hatte auch seine Nachteile. Pascoe versuchte es mit einem weiteren Lächeln, das diesmal vielleicht nicht ganz so sympathisch ausfiel.
»Warum JP ?«, fragte er. »Nur seine Initialen?«
Oder verbietet dir wieder so ein idiotischer Freimaurereid, darauf zu antworten?
Bell lachte. »Ja, das sind seine Initialen.« Er sah sich um und sprach leiser weiter. »Aber sie stehen auch noch für etwas anderes. Er würde gern auf den Richterstuhl klettern, Justice of Peace, das wär was. Gnade Gott den Eierdieben, wenn er’s schafft. Aber eigentlich ist das Ganze auf dem Mist unseres Pfarrers gewachsen. Ein drolliger, kleiner Waliser, noch nicht allzu lange der Kohlegrube entstiegen. Er hat erzählt, wie früher in seinem Dorf eine Kupferschmelzerei einen Mann hatte, der jeden Morgen mit zwei großen Eimern an einem Tragjoch durch die Straßen zog. Da hinein konnten die Leute ihre Nachttöpfe entleeren!«
Er lachte so herzlich, dass die anderen verstummten und zu ihm herübersahen. Wie eine Störung bei einem Begräbnis, dachte Pascoe. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass ihm das Ganze peinlich war.
»Sie brauchten das Zeug für irgendeinen chemischen Prozess im Kupferwerk«, führte Bell aus. »Egal, dieser Mann war allgemein als Jim Piss bekannt! Und diese Geschichte gab der Pfarrer zum Besten, nachdem er das erste Mal ein Bitter bei Palfrey probiert hatte. Der Name ist ihm geblieben, aber weil wir alle höfliche Leute sind, wurde JP daraus.«
Der Witz war gut, dachte Pascoe. Aber es brachte ihn kein bisschen vorwärts. Er wusste nicht einmal, wo
vorwärts
lag.
Er bemerkte, dass die Culpeppers wieder da waren. Doch der Umfang der Gesellschaft hatte sich nicht merklich vergrößert. Was seltsam war, oder vielleicht auch nicht.
Ellie unterhielt sich mit den Hardistys und sah elend aus. Pascoe sah auch, warum. Medizinische Fürsorge quoll ihnen beinahe sichtbar aus allen Poren. Er ging hinüber, um Hilfe zu leisten, was sich aber als unnötig erwies.
»Entschuldigen Sie mich, bitte«, sagte sie zu dem medizinischen Duo. »Ich glaube, ich gehe früh zu Bett.«
So einfach war das, dachte Pascoe und lächelte schmerzlich über den Verlust seines Retterstatus. In Zeiten seelischer Belastung ist die Schwäche anderer eine Quelle eigener Stärke. Ellies Selbstbeherrschung konfrontierte ihn immer heftiger mit seinen eigenen Gefühlen und lockte zunehmend den Polizisten heraus, der ihm sein Gleichgewicht bewahren helfen sollte.
Aber was, zum Teufel, gab es hier zu ermitteln? Hoffnungsfroh sah er sich im Zimmer um.
Ellie stand an der Tür und versicherte Marianne, dass sie alles hatte, was sie brauchte. Sie fing seinen Blick auf, lächelte kurz, und weg war sie. Er fühlte Erleichterung, mit einem Quentchen schlechten Gewissens. Jetzt, wo Ellie nicht mehr da war, ergab sich vielleicht die Möglichkeit, irgendwelche Reaktionen zu provozieren. Bei Pelman erhoffte er sich am ehesten Erfolg. Der war ja bei seiner Ankunft anscheinend sehr dafür gewesen, die Dinge beim Namen zu nennen. Mittlerweile hatte er sich aber offenbar mit den üblichen gesellschaftlichen Belanglosigkeiten abgefunden. Im Moment jammerte er gerade über die Kosten der Gutsbewirtschaftung.
»Sie sind also ein arbeitendes Mitglied der Gemeinschaft?«, fragte Pascoe gut gelaunt. »Und kommen nicht nur zum Schlafen her.«
Die Bells und die Hardistys wechselten Blicke, die Pascoe zeigten, dass er in der Wahl seiner Worte nicht eben glücklich gewesen war. John Bell fand das anscheinend sehr amüsant, die anderen weniger.
»Ja, Mr. Pascoe. Ich habe Milchvieh und eine der größten Legebatterien im Umkreis. Ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt.«
Lag da eine sarkastische Betonung auf dem Wörtchen »verdienen«? Pascoe war sich nicht sicher.
»Wie wir alle«, sagte Dr. Hardisty mit einem Lächeln. Hatte er den Sarkasmus auch wahrgenommen? Pelman grunzte und trank einen Schluck.
»Wenn Sie es gern tun, dann ist es keine Arbeit«, bemerkte Bell mit gespielter Scheinheiligkeit.
»Tun Sie
Ihre
Arbeit gerne?«, fragte Sandra Bell auf einmal. »Was machen Sie eigentlich beruflich, Mr. Pascoe?«
Weiß sie es wirklich nicht? Oder zeigt sie nur ihre Krallen? Sie schien nett zu sein, doch
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