Der Lüge schöner Schein
Wir haben andere Zeiten als die Läden; so können unsere Damen einkaufen gehen.«
»Und die Ladenbesitzer Häuser aussuchen? Praktisch. Es waren also nur Sie beide da?«
»Das habe ich Ihnen schon gesagt«, antwortete Cowley genervt. »Wo ist das Problem?«
»Nirgends. Ich frage mich bloß, wenn nur Sie beide da waren, warum haben Sie Ihre Besprechung nicht telefonisch abgehalten? Warum Mr. Lewis aus dem Urlaub holen? Also mir sind meine zwei Wochen Ruhe und Frieden heilig, ha, ha.«
»Was Sie nicht sagen. Nun, Matt hat gerne gearbeitet. Er ist ein halbes Dutzend Mal im Jahr nach Schottland gefahren. Er besitzt – besaß – ein Wochenendhaus dort, es hat ihn also überhaupt nicht gejuckt, dass er zurückfahren musste.«
»Ein Wochenendhaus. Wie nett. Gut, ich verstehe, was Sie meinen, Mr. Cowley, aber trotzdem muss es etwas ziemlich Wichtiges gewesen sein?«
»Nicht besonders. Eine schnelle Entscheidung war zu treffen, mehr nicht.«
»Eine geschäftliche Angelegenheit?«
»Natürlich.«
»Nichts Außergewöhnliches, aber dringend? Von der Zeit her, meine ich.«
»Genau. Sie haben’s erfasst. Also, Sergeant, könnten wir jetzt bitte zum nächsten Punkt kommen?«
»Natürlich. Nur noch eine Minute, Sir.«
Aus einer Minute wurden zehn. Pascoe wusste selbst nicht so recht, warum er diesen Mann so lange aufhielt, außer dass dessen Gehabe chronischer Ungeduld so eine Behandlung geradezu herausforderte, genauso wie manche Menschen sich so schüchtern und unterwürfig geben, dass es schwierig ist, nicht auf ihnen herumzutrampeln.
Aber nach zehn Minuten war Pascoe kein bisschen weitergekommen, und Cowleys Ärger hatte entsprechende Dimensionen angenommen. Schließlich trat Pascoe, mit dem Gefühl, seine Zeit verschwendet zu haben, den strategischen Rückzug an. Trotzdem verschwendete er noch einmal eine Viertelstunde dreißig Meter weiter in seinem Wagen sitzend, bis auch Cowley in Begleitung eines stämmigen, grauhaarigen Mannes in einem alten Tweedanzug herauskam. Pascoe hatte ihn nie zuvor gesehen, und es war auch nicht sehr wahrscheinlich, dass er ihn jemals wieder sehen würde. Er suchte in seinem Notizbuch nach den Namen und Adressen der beiden Büroangestellten von Lewis und Cowley. Bestimmt genossen sie diesen unerwarteten freien Tag, wenn auch mit ein wenig Besorgnis über ihren Arbeitsplatz, jetzt, da die Hälfte ihrer Arbeitgeber tot war.
Er klappte das Buch zu und lehnte seinen Kopf schwer an das kühle Glas der Windschutzscheibe. Wie leicht man vergaß, was ein Todesfall für andere bedeuten konnte. Möglicherweise bestand eine enge Beziehung zwischen Lewis und seiner Sekretärin. Eine sexuelle vielleicht, so etwas kam jeden Tag vor. Oder vielleicht hatte sie ihn gemocht, bewundert, mit ihm herumgealbert. Was zählte das schon? Was zählte, war, dass er, Detective-Sergeant Peter Pascoe, auch im Geiste Leute nicht so gefühllos abfertigen sollte, die er nicht kannte.
Er blickte noch einmal in sein Buch. Marjory Clayton, Woodview Drive 13. Ganz in der Nähe vom alten Sturgeon, wenn er sich nicht irrte. Er sollte auch gleich auf ein paar Worte bei ihm vorbeischauen, wenn er schon in der Gegend war.
Aber das Wichtige zuerst. Er legte den Gang ein und fuhr zum Woodview Drive.
Sturgeon war die letzte halbe Stunde ohne Unterbrechung Richtung Süden gefahren. Er wusste, dass er nicht schnell genug fuhr, doch sein rechter Fuß war irgendwie schwerelos, nicht in der Lage, richtig aufs Gaspedal zu treten. Ferrybridge und seine großen Kühltürme, eine Art Stonehenge des Industriezeitalters, waren vor wenigen Minuten langsam vorübergezogen. Die Umgehungsstraße bei Doncaster war nicht mehr weit, dann würde sich die Straße teilen und man hatte die Wahl zwischen der A1 und der M1, zwei großen Zubringerstraßen, über die der Norden seine Güter nach London schaffte. London hatte für ihn immer noch den Beiklang von Sünde. In seinen achtundsechzig Lebensjahren war er zwar etliche Dutzend Male da gewesen, doch immer noch erinnerte er sich an das erste Mal und an seine alte Großmutter, die nie über Newark hinausgekommen war und ihm zum Schutz vor Taschendieben den Geldbeutel an sein Wollunterhemd genäht hatte.
Doch die Zeit solcher Schutzmaßnahmen war vorbei. Er lächelte über den Doppelsinn dieser Worte und sah auf die Uhr. Mavis, seine Frau, würde bald nach Hause kommen. Sie kam selten spät vom Einkaufen zurück, weil sie die Katzen nicht gern allein ließ. Sie würde aber eigentlich
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