Der Lustmolch
Haben Sie sie gezählt?«
»Hm, nein.«
»Es kommt vor, daß Patienten ihre Medikamente gar nicht nehmen. Wir machen keine Blutproben auf SSRIs.«
»Ach so«, sagte Theo. »Aber das wird ja bei der Autopsie herauskommen.«
Noch eine Schreckensvision, die vor Vals geistigem Auge aufflackerte: Bess Leander auf dem Obduktionstisch. Die tiefen Einblicke ins Innenleben der Menschheit, die einem die Medizin bot, waren ihr schon immer zuviel gewesen. Sie erhob sich.
»Ich wollte, ich könnte Ihnen weiterhelfen, aber um ehrlich zu sein hat Bess Leander mir gegenüber niemals auch nur den Anschein erweckt, als wäre sie suizidal.« Wenigstens das stimmte.
Theo erhob sich nun ebenfalls. »Nun denn, vielen Dank. Es tut mir leid, daß ich Sie belästigt habe. Wenn Ihnen irgendwas einfällt, na ja, irgendwas, das ich Joseph erzählen könnte, um ihm die Sache leichter zu machen ...«
»Es tut mir leid. Aber das ist alles, was ich weiß.« Fünfzehn Prozent. Fünfzehn Prozent. Fünfzehn Prozent.
Sie geleitete ihn zur Tür.
Bevor er ging, drehte er sich noch einmal um. »Eines noch. Molly Michon ist doch auch eine Ihrer Patientinnen?«
»Ja. Eigentlich ist sie in der Bezirksnervenklinik in Behandlung, aber ich habe zugestimmt, sie zu einem niedrigeren Honorarsatz zu behandeln, weil die Einrichtungen der Bezirksnervenklinik so weit weg sind.«
»Vielleicht wäre es ganz gut, wenn Sie mal nach ihr sehen. Sie hat heute morgen einen Kerl im Head of the Slug attackiert.«
»Ist sie jetzt in der Bezirksnervenklinik?«
»Nein, ich habe sie nach Hause gebracht. Sie hat sich wieder beruhigt.«
»Danke, Constable. Ich werde sie anrufen.«
»Nun denn. Dann mach ich mich mal auf den Weg.«
»Constable«, rief sie ihm nach. »Diese Pillen, die Sie da haben - Zoloft ist nicht einfach nur zum Wohlfühlen.«
Einen Moment lang geriet Theo auf der Treppe ins Stolpern, doch er fing sich gerade noch. »Richtig, Doktor, das hab ich mir auch gedacht, als ich die Leiche im Wohnzimmer hängen sah. Ich werde versuchen, die Beweismittel nicht aufzufuttern.«
»Wiedersehen«, sagte Val. Sie schloß die Tür hinter ihm und brach in Tränen aus. Sie hatte fünfzehnhundert Patienten in Pine Cove, die alle irgendwelche Antidepressiva schluckten. Fünfzehn Prozent davon wären über zweihundert Tote. Sie konnte das nicht zulassen. Sie würde nicht zulassen, daß noch einer ihrer Patienten starb, nur weil sie sich nicht um sie kümmerte. Wenn die Antidepressiva sie nicht retten konnten, dann konnte sie es vielleicht.
-3-
THEO
Theophilus Crowe saß auf einem Felsen am Strand, schrieb schlechte Gedichte und trommelte auf einer Djembe herum. Er konnte sechzehn Akkorde auf der Gitarre und schaffte es, fünf Bob-Dylan-Songs von Anfang bis Ende durchzuspielen, wobei jedesmal ein klägliches Schnarren zu hören war, wenn er sich mit einem Barreegriff abzuquälen hatte. Er hatte sich mit Malerei, Bildhauerei und Töpferei versucht und sogar schon einmal eine Nebenrolle in der Aufführung von Arsen und Spitzenhäubchen am Little Theater von Pine Cove gespielt. Doch bei all diesen Anstrengungen hatte er lediglich seinen kometenhaften Aufstieg in die Mittelmäßigkeit empfunden und seine Bemühungen eingestellt, bevor er sich lächerlich machte und sich selbst nicht mehr im Spiegel betrachten konnte. Theo war geschlagen mit der Seele eines Künstlers und dem totalen Mangel an Talent. Es gebrach ihm nicht an Verzweiflung und Inspiration, sondern an der Fähigkeit, schöpferisch zu wirken.
Wenn Theo überhaupt eine herausragende Gabe besaß, dann war es sein Einfühlungsvermögen. Er schien stets in der Lage, den Standpunkt eines anderen nachzuvollziehen, egal wie abwegig oder verschroben dieser auch sein mochte, und er war darüber hinaus in der Lage, diesen auf eine knappe, aber klare Art an andere Personen weiterzuvermitteln - etwas, das ihm selten gelang, wenn esd arum ging, seine eigenen Gedanken in Worte zu fassen. Er war ein geborener Vermittler, ein Friedensstifter, und eben jenem Talent hatte er, nachdem er zahllose Streitigkeiten und Schlägereien im Head of the Slug geschlichtet hatte, seine Wahl zum Constable zu verdanken. Jenem Talent und der massiven Einflußnahme von Sheriff John Burton.
Burton war ein Hardliner mit stramm rechter Gesinnung - ein politischer Hans-Dampf-in-allen-Gassen, der den Rotariern zum Brunch endlose Elogen über Recht und Ordnung (mit der Betonung auf Ordnung) um die Ohren drosch, danach mit den Waffennarren von
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