Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maedchenmaler

Der Maedchenmaler

Titel: Der Maedchenmaler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
Vom Netzwerk:
es ist.
    »Hast du gefroren?«
    Sie setzt Wasser auf und holt ein Päckchen Nudeln aus der Vorratskammer. Im Vorbeigehen gibt sie ihm einen Kuss auf die Nasenspitze.
    »Hellseher!«
    »Tut mir Leid. Ich bin ein Idiot.« Mit drei Schritten ist er bei ihr, nimmt ihre Hände. Sie sind eiskalt. »Ein Volltrottel, ein gefühlloses Monster, ein...«

    »Du bist du.« Sie zieht den Bademantel enger zusammen. »Und jetzt hilf mir gefälligst beim Kochen.«
    Er hatte sie immer wieder gemalt. Er konnte sich nicht satt sehen an ihr. Etwas an Ilka war jedes Mal anders gewesen. Immer hatte ihn etwas überrascht. Eine Linie, die er vorher nicht entdeckt, eine Haltung, die sie nie zuvor eingenommen hatte. Wie Licht und Schatten auf ihrer Haut spielten. Wie sie ihr Haar trug. Welches Parfüm sie benutzte. All das änderte sich immerzu. Ilka war eine Verwandlungskünstlerin. Es kam aus ihrem Innern. Da war nichts Oberflächliches, nichts Künstliches an ihr.
    Ilka war der natürlichste Mensch, den Ruben kannte. Ihr fehlte jegliche Fähigkeit zur Verstellung. Als Kind war sie oft bestraft worden, weil sie nicht lügen konnte. Man sah ihr jede Regung an. Ihre helle Haut war verräterisch. Wenn Ilka sich freute oder ärgerte, wenn sie empört war, aufgeregt oder verlegen, überzog sofort eine feine Röte ihr Gesicht. Ruben hatte oft Angst gehabt, die Eltern würden auf diese Weise erkennen, was zwischen den Geschwistern war, aber merkwürdigerweise waren die Eltern in dieser Hinsicht blind gewesen.
    Die Bilder und Zeichnungen, die Ruben von Ilka gemacht hatte, verwahrte er von Anfang an in einem sicheren Versteck. Er hatte auf dem nicht ausgebauten Teil des Speichers, den niemand je betrat, an einer Stelle die Wandverkleidung gelöst und einen kleinen Stauraum ausgenutzt, von dem auߟer ihm keiner zu wissen schien.
    Die Eltern hatten das Haus nicht bauen lassen, sie hatten es gekauft. Exakte Baupläne existierten nicht. Der Speicher war von Staub und Spinnweben bedeckt, ein wunderbar geheimer Ort, an den Ruben und Ilka sich zurückzogen, wenn sie nicht gefunden werden wollten. Er hatte das Licht einer verlassenen Kirche. Die Sonnenstrahlen drangen in langen Streifen durch die kleinen, blinden Luken und tasteten sich über den Boden zur gegenüberliegenden Wand vor. Dort malten sie ihr Muster, das sich von Stunde zu Stunde veränderte.
    Die Luft war trocken, im Sommer voller Staub und glühend heiߟ, im Winter frostig und beinah klar. Ab und zu wischte Ilka mit einem feuchten Tuch den Boden auf, aber nur ganz hinten, an der Stelle, wo sie sich versteckten. Sie durften keine Spuren hinterlassen.
    Manchmal saߟen sie an die Wand gelehnt und summten leise vor sich hin. Manchmal schwiegen sie miteinander. Und manchmal schmiedeten sie grandiose Pläne.
    Hier auf dem Speicher, an ihrem geheimen Zauberort, hatte Ruben die verbotenen Gefühle in sich entdeckt. Hier hatte er gespürt, dass Ilka diese Gefühle ebenfalls kannte. Und hier hatte er sich ihr offenbart.

    An manchen Tagen konnte er die Sehnsucht nach diesem Platz kaum noch ertragen. Und jetzt hatte er ihn wiedergefunden. Oder doch beinahe. Er wurde schneller. Die Schatten flogen an ihm vorbei. Aber er fuhr nicht nach Hause. Er wandte sich wieder Richtung Autobahn.
     
    Der alte Mann hatte Ilka tatsächlich erklären können, wie sie fahren musste. Er hatte sich alle Mühe gegeben, sie zu beruhigen, auch wenn er nicht begriff, was sie so in Panik versetzte.
    »Das kann doch jedem passieren«, sagte er in seiner langsamen, ruhigen Art und tätschelte sachte ihren Arm. Seine Hand war breit und kräftig. Sie schien an harte Arbeit gewöhnt. Ilka wunderte sich darüber, dass eine solche Hand zu so zarten Berührungen fähig war. »Jedem«, wiederholte der Mann. »Da dürfen Sie sich keinen Kopp drüber machen.«
    Diesen Ausdruck hatte Ilka schon lange nicht mehr gehört. Vielleicht starb er allmählich aus. Vielleicht wurde er nur noch von ein paar alten Leuten benutzt. Der Gedanke machte sie traurig, dabei strengte der alte Mann sich wirklich an, sie aufzuheitern, indem er ihr eine Geschichte nach der andern erzählte. In jeder ging es darum, dass jemand sich verirrt hatte.
    Sie bedankte sich bei ihm und fuhr nach Hause. Tante Marei machte ihr auf, bevor sie den Schlüssel ins Schloss stecken konnte.
    »Kind! Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! Wo bist du gewesen? Mike hat nach dir gefragt, der Arme. Er war ganz verstört. Und wie du aussiehst! Wie Buttermilch mit Spucke. Was

Weitere Kostenlose Bücher