Der Maedchenmaler
und da stand eine mächtige Kübelpflanze auf einem fahrbaren Untersatz. Aus unauffällig angebrachten Lautsprechern erklang leise Musik. Klassik, wie Bert verwundert feststellte. Nach seinen Erfahrungen war das äußerst ungewöhnlich.
Lediglich der Geruch erinnerte ihn daran, dass er sich nicht in einem Hotel befand, sondern in einem Heim für psychisch Kranke. Es war dieser typische Geruch nach Essen, Tee und Reinigungsmitteln, wie er in jeder Klinik und jedem Altersheim zu finden war.
Ein Tisch mit zwei Stühlen, ein Schrank, ein Bett, ein Nachttisch und ein Sessel am Fenster, das war das Zimmer, in dem Anne Helmbach lebte. Sie saß in dem Sessel und schaute Bert entgegen.
»Besuch für Sie«, sagte Frau Hubschmidt. Sie beugte sich zu Anne Helmbach hinunter und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Der Herr ist von der Polizei. Hauptkommissar Melzig. Er hat ein paar Fragen an Sie.«
Bert war angenehm berührt von der Art, wie sie mit ihrer Patientin umging. Weder erhob sie auf diese unerträglich überhebliche Weise die Stimme, als wäre jeder in ihrer unmittelbaren Umgebung taub, noch verfiel sie in den Wortschatz, den manche Erwachsene für Kleinkinder, Kranke und Alte reserviert hatten. Vor allem beging sie nicht die unverzeihliche Grobheit, Anne Helmbach zu duzen.
Jetzt erst wandte sie sich zu Bert um. »Wenn Sie mich brauchen, finden Sie mich im Büro.«
Es wunderte ihn, dass sie ihn mit Anne Helmbach allein ließ. Offenbar hatte sie doch Vertrauen zu ihm gefasst. Er freute sich darüber.
»Guten Morgen, Frau Helmbach. Darf ich?« Er rückte sich einen Stuhl heran und setzte sich.
Anne Helmbach war sicherlich einmal eine schöne Frau gewesen. Sie war es immer noch, nur dass ihre Schönheit das Strahlende verloren hatte, stumpf geworden war und blass. Sie trug die schulterlangen blonden Haare offen. Sie wirkten trocken und glanzlos und waren elektrisch aufgeladen. Die äußeren hatten sich ein wenig aufgerichtet und umgaben den Kopf im Gegenlicht wie ein Heiligenschein.
Bert entdeckte auf dem kleinen Nachttisch ein gerahmtes Foto, das ein junges Mädchen zeigte. Er wusste, dass es sich bei diesem Mädchen um Ilka handelte, denn Marei Täschner hatte ihm mehrere Fotos ihrer Nichte überlassen.
Anne Helmbach sah ihm in die Augen, aber sie hielt seinen Blick nicht fest. Es war, als schaue sie durch seine Augen hindurch auf einen Punkt, der jenseits von allem lag, was er kannte.
Frau Hubschmidt hatte offenbar nicht übertrieben, als sie ihn vorgewarnt hatte. Trotzdem hatte er es versuchen müssen. Manchmal geschahen die seltsamsten Dinge. Vielleicht, hatte er gedacht, würde sie ja eine winzige Reaktion auf seine Fragen zeigen. Oder zumindest auf seine Gegenwart. Eine Geste, einen Laut. Er war auf jede Kleinigkeit angewiesen.
»Ein schöner Garten«, sagte er und sah aus dem Fenster. »Fast könnte man sich einbilden, hinter den Bäumen sei das Meer.«
Er fand in ihren Augen kein Zeichen des Verstehens. Er war sich nicht einmal klar darüber, ob sie ihn überhaupt gehört hatte. Eine Weile saß er ihr schweigend gegenüber. Dann fielen ihm ihre Hände auf. Sie hatten die ganze Zeit still auf ihrem Schoß gelegen, schmal und schlank und geduldig. Nun waren sie unmerklich in Bewegung geraten. Es war wie ein sehr leichtes Zucken. Kaum hatte Bert es wahrgenommen, da war es auch schon wieder vorbei.
Er zeigte auf das Foto. »Sie haben eine hübsche Tochter. Sie hat ein so fröhliches Lachen.«
Hatte sie den Kopf ein wenig zurückgelegt oder bildete er sich das ein?
»Ich kenne Mike, ihren Freund. Ein netter Junge.«
Was redete er denn da? Er sollte allmählich zur Sache kommen.
Es fiel ihm schwer. Er wollte diese Frau auf gar keinen Fall beunruhigen. Aber irritierte er sie weniger, wenn er ihr den Anlass seines Besuchs verschwieg? Irritierte er sie überhaupt? Wie viel drang zu ihr durch? Wie viel durfte er ihr zumuten?
»Ilka ist nicht nach Hause gekommen«, versuchte er es behutsam. »Das muss nichts bedeuten. Junge Mädchen schlagen schon mal über die Stränge und tauchen dann nach ein paar Tagen putzmunter wieder auf.«
Er beobachtete sie genau, fand jedoch weder in ihren Augen noch auf ihrem Gesicht die kleinste Regung. Sie erinnerte ihn an eine lebensgroße Puppe. Er konnte sich in ihren Pupillen spiegeln.
Nein, dachte er. Es hat keinen Sinn, ins Detail zu gehen.
»Es war mir wichtig, Ihnen das mitzuteilen. Und Ihnen zu versprechen, dass ich alles tun werde, um Ilka schnell
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