Der Maedchenmaler
zu finden.«
Er legte die Hand auf ihre. Sie fühlte sich kalt an, obwohl es in diesem Zimmer so warm war, dass sich ihm der Schweiß im Nacken sammelte.
Bevor er das Haus verließ, unterhielt er sich noch mit Frau Hubschmidt, die an der Pforte auf ihn wartete.
»Ein tapferes Mädchen«, sagte sie, als er sie auf Ilka ansprach. »Sie besucht ihre Mutter seit drei Jahren regelmäßig. Und sie gibt nicht auf. Wenn es jemandem gelingt, Frau Helmbach zurückzuholen, dann ihr.«
»Sie schätzen Ilka Helmbach?«
»Ja, sehr. Ich habe großen Respekt vor ihr. Sie ist erst achtzehn und bei allem, was sie durchlitten hat, ungewöhnlich stark.« Sie kniff die Augen zusammen und sah ihn scharf an. »Sie haben mir immer noch nicht verraten, warum Sie mit Frau Helmbach sprechen wollten.«
»Ilka ist als vermisst gemeldet worden.«
»Wie lange ist sie schon verschwunden?« Sie war es gewöhnt, ohne Umschweife zur Sache zu kommen. Mehr solche Menschen, dachte Bert, und meine Arbeit wäre um vieles einfacher.
»Seit drei Tagen. Ist Ihnen bei ihrem letzten Besuch etwas aufgefallen?«
Sie überlegte und schüttelte dann den Kopf. »Sie war wie immer. Tut mir Leid. Ich wollte, ich könnte Ihnen weiterhelfen.«
»Wird Ilka manchmal begleitet? Von ihrer Tante, ihrem Freund, einer Freundin?«
»Nein. Nie. Sie kommt immer allein. Sie ist im Übrigen die Einzige, die Frau Helmbach überhaupt besucht. Außer Frau Helmbachs Schwester. Die erscheint ebenfalls regelmäßig hier. Wissen Sie, der Kontakt zur Familie und zu Freunden ist in solchen Fällen extrem wichtig. Besuche sind für die Patienten wie Brücken zwischen unserer Wirklichkeit und dem Ort, an dem sie gefangen sind.«
Der Ort, an dem sie gefangen sind. Wie schrecklich das klang. Und wie treffend es den Zustand von Ilkas Mutter beschrieb.
»Was ist mit dem Sohn von Frau Helmbach?«
»Wie? Frau Helmbach hat einen Sohn?«
Bert zog sein Notizbuch hervor. »Ich dachte, er ist womöglich derjenige, der die Unterbringung seiner Mutter in diesem Heim bezahlt?«
»Nein. Die Unterbringung von Frau Helmbach in unserem Haus wird, soweit ich weiß, durch die Vermietung ihres Wohnhauses und eine Rente finanziert.«
Und was, schoss es ihm durch den Kopf, machen die, die weder das eine noch das andere haben? In welcher Art von Häusern landen die?
Bert verstaute das Notizbuch in seinem Mantel und reichte Frau Hubschmidt die Hand. Wenn sie wirklich zudrückte, könnte sie ihn ohne weiteres in die Knie zwingen. Wie eng ihre Röcke auch sein mochten, sie schaffte ihre Arbeit, daran zweifelte er keine Sekunde.
»Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an.« Er reichte ihr seine Karte und ging zur Tür. Manchmal, dachte er, rede ich wirklich wie die Bullen im Film.
Draußen drehte er sich noch mal um. Ein stiller, friedlicher Ort. Aber das konnte auch täuschen.
Es war schon zehn Uhr, als Ruben sie zum Frühstück holte. Ilka war dankbar dafür, dass er sie wieder mit nach oben nahm. Sie hatte das Gefühl, in diesen Kellerräumen zu ersticken.
Er hatte alles vorbereitet. Der Tisch war mit Servietten und Kerzen gedeckt. Es gab Brötchen und Brot, Käse, Obst, Marmelade und Rührei mit gebratenem Speck. Ein wundervoller Duft hing in der Küche. Ilka merkte erst jetzt, wie hungrig sie war.
Sie frühstückten schweigend. Ein paarmal lächelte Ruben und Ilka gab sein Lächeln vorsichtig zurück. Sie hatte sich geschworen, alles zu vermeiden, was ihn wütend machen könnte.
Dann schaute Ruben sie an. So lange und so intensiv, dass sie sich innerlich wand.
»Ich möchte dich malen«, sagte er.
Ilka versuchte nachzudenken. Wenn sie sich weigerte, würde er sie wieder runterschicken. Runter in dieses Gefängnis, in das kein Laut drang, in dem sie nichts hörte als ihren eigenen Atem. Und vielleicht würde er sie wieder so lange warten lassen wie gestern. Noch so einen Tag ohne eine Menschenseele würde sie nicht ertragen.
Wenn sie zustimmte, würde sie vielleicht einen weiteren Raum in diesem Haus kennen lernen, sein Atelier. Und sie hätte die Chance, sein Vertrauen zurückzugewinnen. Ruben hatte die Macht. Und er hatte Zeit. Sie nicht. Jeder Tag, den sie hier verbringen musste, jede Sekunde der Angst war zu viel.
»Okay«, sagte sie und trank von ihrem Orangensaft. Über den Rand des Glases hinweg beobachtete sie ihn. Er war überrascht, versuchte jedoch, das zu verbergen, indem er sein Pokerface aufsetzte. Wenn er das tat, hatte niemand mehr
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