Der Maedchenmaler
essen. Niemandem wäre damit gedient, wenn er schlappmachte. Ein Blick in die Runde zeigte ihm, dass er als Einziger allein am Tisch saß.
Er vertilgte die Pizza bis zum letzten Bröckchen. Danach war ihm übel. Er trank ein Glas Wasser und kaufte sich an der Kinokasse eine Karte für
Troja
.
Eigentlich mochte er Monumentalschinken nicht. Auch Ilka hätte auf diesen Film keine Lust gehabt. Genau aus diesem Grund hatte Mike sich für ihn entschieden. Einen Film, der ihn bei seinen Gefühlen packte, konnte er jetzt nicht ertragen.
Und dann saß er im Kino, ringsherum Popcorn und Nachos knabbernde, erwartungsvolle Menschen, und spürte Tränen im Hals. Noch während der Werbung stand er auf, quetschte sich von der Mitte aus an Knien, Rucksäcken und Schirmen vorbei zum Gang und verließ das Kino Hals über Kopf.
Draußen blieb er stehen und sah sich um. Er wusste nicht, wohin er gehen sollte. Eine Frau meckerte, weil er ihr den Weg versperrte. Ein Betrunkener umarmte ihn. Feiner, kalter Regen fiel. Mike versuchte zu beten, aber er hatte das so lange nicht mehr getan, dass er die Worte nicht fand. Er wandte sich nach rechts und ließ sich im Strom der Einkaufenden treiben.
Am Bahnhof endlich stolperten wir über ihn. Wir hatten überall nach ihm gesucht. Meine Zehen und Finger fühlten sich taub an, und ich wagte nicht, meine Nase oder meine Ohren zu berühren, aus Angst, sie könnten abbrechen.
Er saß im Kaffeehaus wie ein übrig gebliebener Zecher, eine leere Tasse vor sich, und starrte an die Wand, an der ein paar knallbunte, konstruktivistische Bilder hingen. Wir setzten uns zu ihm. Mike quittierte unsere Anwesenheit mit einem dünnen Lächeln.
»Tja«, sagte er.
»Das ist ein bisschen wenig«, fuhr Merle ihn an. »Immerhin haben wir die halbe Stadt nach dir umgekrempelt.«
»Tut mir Leid.« Mike zupfte gedankenverloren an den Trockenblumen, die den Tisch schmückten. »Bin einfach rumgelaufen.«
Ich verstand ihn. Ilka war verschwunden und er konnte nichts tun. Das musste ihn verrückt machen. Vielleicht hatte er einige ihrer gemeinsamen Lieblingsplätze aufgesucht in der absurden Hoffnung, sie irgendwo dort zu finden. Ich an seiner Stelle hätte es wahrscheinlich so gemacht.
Merle nickte besänftigt. »Ist okay.«
Weil wir nun schon mal hier waren, bestellten wir eine Runde Cappuccino. Das Kaffeehaus war gut besucht. Reisende saßen inmitten ihres Gepäcks und warteten auf die nächste Verbindung. Stadtstreicher hielten sich so lange wie möglich an einem Kaffee fest, um Wärme zu tanken für die Nacht. Verliebte flüsterten miteinander, als wäre es das letzte Mal.
Ich berichtete von meinem Gespräch mit Charlie.
»Das hättest du dir sparen können«, sagte Mike. »Selbst wenn sie was wüsste - die wär zu blöd, um zu merken, dass sie was weiß.«
Er zog einen Zehn-Euro-Schein aus der Tasche und winkte der Kellnerin. Wir steckten in einer Sackgasse fest und hatten keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.
Kapitel 19
Ruben hatte Ilka das Abendbrot gebracht und sie damit allein gelassen. Sie hatte ihn verwirrt. Das durfte nicht noch einmal passieren. Für den Rest des Abends hatte er sich ins Atelier zurückgezogen und weiter an der Vorbereitung der neuen Ausstellung gearbeitet.
Die konzentrierte Beschäftigung hatte ihm gut getan. Sie hatte seinen Kopf wieder frei gemacht und seine Gefühle besänftigt. Es war gewesen wie zu der Zeit, als er nur für seinen Traum gelebt und sich von nichts hatte verunsichern lassen.
War das immer so, wenn Träume Wirklichkeit wurden, dass sie sich veränderten? Verloren sie durch die Verwandlung an Kraft? In seinem Traum liebte Ilka ihn noch immer. Da war ihre Liebe vielleicht sogar stärker geworden.
Gegen elf fühlte Ruben sich so einsam, dass er beinahe angefangen hätte, sich mit seinen Bildern zu unterhalten. Er kannte viele Leute auf die lockere, unverbindliche Art, die in der Szene üblich war. Man trank etwas zusammen und tauschte den neuesten Klatsch aus. Gelegentlich ergab sich aus solchen Treffen auch ein Geschäft. Mehr durfte man jedoch nicht erwarten. Unter all diesen Menschen war nur einer, dem Ruben rückhaltlos vertraute. Der ihn in- und auswendig kannte. Den er vermisste. Nur einen Menschen, an den er sich jederzeit und mit allem wenden konnte.
Sie meldete sich mit verschlafener Stimme.
»Hallo, Judith. Hab ich dich geweckt?«
Er brauchte seinen Namen nicht zu nennen. Sie erkannte ihn beim ersten Wort.
»Ja. Aber
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