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Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Titel: Der männliche Makel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Carroll
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habe frei, aber das bist du nie. Nie!«
    Gut, dazu fällt mir im Moment nichts ein, denn das Mädchen hat recht. Theoretisch war vereinbart, dass ich abends gegen sieben eintrudle und Elka Feierabend macht … doch in letzter Zeit ist es immer ein klein wenig später geworden. Elf vielleicht. Oder sogar Mitternacht.
    »Alle anderen Kindermädchen haben abends frei! Sie sich treffen für Bier oder Kino. Alle haben Spaß in Irland. Aber ich nicht! Nie habe ich Spaß. Ich habe satt, mir reicht es!«
    »Pst! Elka, bitte sprich leiser«, raune ich ihr zu, aber Madam will nichts davon wissen. Stattdessen steigert sie sich in einen Wutanfall hinein und ist nicht mehr zu bremsen.
    »Nein, du hörst mir jetzt zu. Wegen dir ich muss so lange arbeiten … es ist zu viel, und ich will kündigen!«
    »Ich verstehe dich ja, aber darf ich dich daran erinnern, dass mein Beruf das eben so mit sich bringt?«, versuche ich sie so gut wie möglich zu beruhigen, wohl wissend, dass sie mich in der Hand hat. Denn wenn sie geht … oh, mein Gott, ich wage gar nicht, daran zu denken. »Wenn dir meine Arbeitszeiten nicht gefallen, Elka, dann … dann weiß ich auch nicht, was ich sagen soll. Ich kann nichts dagegen tun, und glaube mir, ich arbeite genauso ungern bis in die Nacht hinein wie du. Wenn du also einen Schuldigen suchst, beschwer dich bei den Politikern der Eurozone und der Weltwirtschaftskrise … oder beim arabischen Frühling im Nahen Osten, für den ich nun wirklich nichts kann.«
    »Ich verstehe nicht … du darfst nicht so schwierige Worter benutzen.«
    Noch einmal tief durchatmen.
    »Es tut mir leid, Elka«, spreche ich so ruhig wie möglich weiter. »Aber wenn etwas Wichtiges passiert, muss die Chefredakteurin da sein und sich darum kümmern. Das ist mein Leben, und dir war das bekannt. Nachrichten machen keinen Feierabend, und deshalb kann ich es auch nicht tun. Ich habe dir das beim Vorstellungsgespräch klipp und klar gesagt. Darf ich dich außerdem darauf hinweisen, dass ich dich gut bezahle und dass du bei mir mehr verdienst als die anderen Kindermädchen? Wenn es allerdings«, füge ich fröhlich hinzu, »um eine weitere Gehaltserhöhung geht, können wir später gerne darüber reden.«
    Nein, nicht einmal das überzeugt sie. Ich könnte genauso gut mit der Wand sprechen.
    »Du arbeitest zu lang, und das nicht nur schlecht für mich, sondern auch für Lily«, entgegnet sie. Der Rabenmuttertrumpf, der älteste Trick, um einer berufstätigen Mutter ein schlechtes Gewissen einzuimpfen.
    »Sie vermisst ihre Mama so sehr, wenn du bist weg. Dauernd sie mich fragt, wann Mama nach Hause kommt.«
    »Aber Elka, das ist einfach lächerlich und außerdem sehr kränkend …«
    »Sogar Wochenende arbeitest du, anstatt zu sein bei ihr. Immer nur Arbeit.«
    Das war ein Seitenhieb in einer immer hitziger werdenden Debatte, der mir im ersten Moment die Sprache verschlägt. Ja, natürlich würde ich gern vierundzwanzig Stunden am Tag mit Lily verbringen. Wer würde das nicht? Doch wie soll ich das hinkriegen? Kurz muss ich an ihr erstes Lebensjahr denken, in dem ich es irgendwie geschafft habe. Ich war das ganze Wochenende zu Hause und habe es meistens sogar zustande gebracht, verhältnismäßig früh aus der Redaktion zu kommen. Deshalb hielt ich es für möglich, die beiden Welten miteinander zu vereinbaren. Ich konnte Superwoman sein. Arbeitszeit und Privatleben waren perfekt ausbalanciert, und ich kann aufrichtig sagen, dass ich noch nie im Leben so glücklich gewesen war wie damals. Bei Weitem.
    Aber dann kam die Rezession und mit ihr der Arbeitsplatzabbau, und Schluss war es mit der Idylle. Plötzlich hatte ich die Wahl, für dasselbe Gehalt für drei zu arbeiten oder meinen Hut zu nehmen. Pech gehabt. Ich stand vor einem unlösbaren Dilemma. Denn sosehr ich Lily auch anbete, ist mir mein Beruf ausgesprochen wichtig. Gegen meine neuen Arbeitszeiten kann ich nicht viel tun, außer zu kündigen. Und wenn ich schonungslos Bilanz ziehe, weiß und akzeptiere ich, dass ich ein Mensch bin, der ohne beruflichen Erfolg als Seelennahrung in weniger als einer Woche verrückt werden würde. Ja, es ist etwas Tolles, Mutter zu sein, doch das gilt auch für meinen Job. Warum also kann ich nicht beides haben?
    Allerdings habe ich in der Redaktion klare Grenzen gesetzt und allen unmissverständlich mitgeteilt, dass meine Sonntage mit Lily heilig sind. Es ist der einzige Tag in der Woche, an dem ich Gelegenheit habe, ihr vorzulesen, ihr zum

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