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Der magische Pflug

Der magische Pflug

Titel: Der magische Pflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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irgend etwas fest, bemerkte sie. Die Ecken des Gegenstandes drückten so fest in ihre Hand, daß ihre Handfläche, nachdem sie ihn losgelassen hatte, schmerzte, als wäre sie gestochen worden. Doch das war nicht der Fall. Es war nur der Kasten, in dem sie Alvins Mutterkuchen aufbewahrte. Vielleicht, dachte Peggy, vielleicht bin ich aber doch gestochen worden, ganz tief, und vielleicht spüre ich erst jetzt den Schmerz.
    Peggy hätte den Kasten am liebsten so weit von sich weggeschleudert wie nur möglich, hätte ihn gern tief vergraben, ganz tief, und vergessen, wo er sich befand, hätte ihn mit Freuden im Wasser versenkt und Felsen darauf getürmt.
    Nein, das will ich gar nicht wirklich, sagte sie stumm bei sich. Es tut mir leid, daß ich so etwas auch nur gedacht habe, es tut mir schrecklich leid. Aber jetzt, nach all diesen Jahren, kehrt er zum Hatrack River zurück und wird nicht mehr der Junge sein, den ich auf allen Wegen seiner Zukunft geschaut habe. Er wird nicht mehr der Mann sein, in den er sich verwandelt hat, wie ich es verfolgt habe. Mann? Nein, er ist immer noch ein Junge, gerade elf Jahre alt. Aber er hat schon genug vom Leben gesehen, um in seinem Innern vielleicht irgendwie zum Mann geworden zu sein. Er hat genug Leid und Qual gesehen, fünfmal mehr als jeder andere seines Alters. Aber nein – trotzdem wird er nur ein elfjähriger Junge sein, wenn er in diese Stadt kommt.
    Und ich will keinen elfjährigen Alvin hierher kommen sehen. Er wird nach mir suchen, ganz bestimmt. Er weiß, wer ich bin, obwohl er mich nie wieder gesehen hat, seit damals, als er zwei Wochen alt war. Er weiß, daß ich an jenem dunklen Regentag, als er geboren wurde, seine Zukunft geschaut habe, und deshalb wird er kommen, und er wird zu mir sagen: »Peggy, ich weiß, daß du eine Fackel bist, und ich weiß, daß du in Geschichtentauschers Buch hineingeschrieben hast, daß ich einst ein Macher werden soll. Also sag mir, was ich werden soll.« Peggy wußte genau, was er sagen würde, und auch, wie er es formulieren könnte – hatte sie es nicht schon hundertmal, ja tausendmal geschaut? Und sie würde es ihn lehren, und er würde zu einem großen Mann werden, zu einem wahren Macher, und …
    Dann, eines Tages, wenn er ein stattlicher junger Bursche von einundzwanzig Jahren sein wird und ich eine spitzzüngige alte Jungfer von sechsundzwanzig, wird er mir so dankbar sein, wird er sich so verpflichtet fühlen, daß er es für seine Pflicht halten wird, mir die Ehe anzutragen. Und ich, die ich die ganzen Jahre liebeskrank gewesen bin, voller Träume davon, was er tun wird und was wir zusammen sein werden, ich werde ja sagen und ihn mit einer Frau belasten, von der er sich wünschen wird, daß er sie nie geheiratet hätte, und seine Augen werden jeden Tag unseres gemeinsamen Lebens nach anderen Frauen hungern …
    Peggy wünschte sich – ach, wie sehr sie es sich wünschte –, nicht mit Sicherheit zu wissen, daß bestimmte Dinge genau so eintreffen würden. Aber Peggy war wirklich eine Fackel, die stärkste Fackel, von der sie je gehört hatte, sogar noch stärker, als die Leute hier am Hatrack River es je erraten konnten.
    Sie setzte sich im Bett auf. Sie warf den Kasten weder beiseite, noch versteckte oder zerbrach oder vergrub sie ihn. Statt dessen öffnete sie ihn. Darin lag der letzte Fetzen von Alvins Mutterkuchen so trocken und weiß wie Papierasche in einem erkalteten Kamin. Vor elf Jahren, als Peggys Mutter die Hebamme gewesen war, die das Baby Alvin aus dem Born des Lebens herausgezogen hatte, und als Alvin zum ersten Mal in Vaters Gasthof am Hatrack River die feuchte Luft eingeatmet hatte, damals hatte Peggy diesen dünnen und blutigen Mutterkuchen vom Gesicht des Babys gezogen, damit Alvin atmen konnte. Alvin, der siebente Sohn eines siebenten Sohnes und das dreizehnte Kind – Peggy hatte seine Lebenswege sofort geschaut. Der Tod war es, dem er entgegenging, der Tod durch hundert verschiedene Unfälle in einer Welt, die es darauf abgesehen zu haben schien, ihn schon zu töten, noch bevor er überhaupt richtig zu leben begonnen hatte.
    Damals war sie Kleinpeggy gewesen, ein Mädchen von fünf Jahren, aber sie hatte schon seit zwei Jahren gefackelt, und in all dieser Zeit hatte sie bei keiner Geburt ein Kind geschaut, das so viele Wege aufwies, die in den Tod führten. Peggy hatte alle Lebenswege Alvins erforscht und nur einen einzigen gefunden, auf dem der Junge überleben und das Mannesalter erreichen konnte.
    Dieser

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