Der magische Pflug
Pflichtgefühl, zu einer kläglichen Ehe. Wie die Geschichte von Lea in der Bibel. Ihr schöner Ehemann Jakob haßte sie, obwohl Lea ihn so liebte und ihm mehr Kinder gebar als seine anderen Frauen, ja, obwohl sie auf ein bloßes Wort von ihm hin für ihn gestorben wäre.
Das ist etwas Böses, was Gott den Frauen da angetan hat, dachte Peggy: uns nach Mann und Kindern zu sehnen, bis uns diese Sehnsucht in ein Leben der Aufopferung und der Qual und des Kummers führt. War denn Evas Sünde so entsetzlich, daß Gott alle Frauen mit diesem mächtigen Fluch belegen mußte? Du wirst stöhnen und Kinder gebären, sagte der Allmächtige Barmherzige Gott. Du wirst dich nach deinem Manne sehnen, und er wird über dich herrschen.
Das war es, was in ihr brannte – die Sehnsucht nach ihrem Mann. Auch wenn er nur ein elfjähriger Junge war, der nicht nach einer Frau, sondern nach einem Lehrer suchte. Er mag vielleicht nur ein Junge sein, dachte Peggy, aber ich bin eine Frau, und ich habe den Mann gesehen, der er sein wird, und ich schmachte nach ihm. Sie preßte eine Hand gegen die Brust; diese fühlte sich so groß und weich an, immer noch seltsam deplaziert an ihrem Körper, der früher nur aus Haut und Knochen bestanden hatte und nun immer weicher wurde – wie das Kalb, das für die Rückkehr des verlorenen Sohnes gemästet wurde.
Sie erschauerte, als sie daran dachte, was mit dem gemästeten Kalb geschehen war, und einmal mehr berührte sie den Mutterkuchen und schaute: In der fernen Stadt Vigor Church frühstückte der junge Alvin gerade zum letzten Mal am Tisch seiner Mutter. Der Rucksack, den er bei seiner Reise nach Hatrack River mit sich tragen sollte, lag neben dem Tisch auf dem Boden. Ungehindert strömten die Tränen der Mutter über ihre Wangen. Der Junge liebte seine Mutter, doch keinen Augenblick lang bedauerte er es, daß er gehen würde. Sein Zuhause war zu einem finsteren Ort geworden, von zu viel unschuldigem Blut befleckt, als daß er sich danach hätte sehnen können, zu bleiben. Er war begierig darauf, aufzubrechen, sein Leben als Lehrling des Schmieds von Hatrack River zu beginnen und das Fackelmädchen aufzusuchen, das ihm bei seiner Geburt das Leben gerettet hatte. Er bekam keinen Bissen mehr herunter. Er schob seinen Stuhl vom Tisch zurück, erhob sich, küßte seine Mutter …
Peggy ließ das Stück Mutterkuchen fallen und schloß den Kastendeckel so fest und so schnell, als wollte sie eine Fliege darin einsperren.
Er kommt, um mich aufzusuchen. Kommt, um mit mir ein Leben in Erbärmlichkeit zu fristen. Los, weine schon, Faith Miller, aber nicht, weil dein kleiner Junge Alvin nun auf dem Weg gen Osten ist. Weine um mich, um die Frau, deren Leben dein Junge ruinieren wird. Du sollst deine Tränen für eine weitere Frau vergießen, die unter einsamem Schmerz leidet.
Peggy erschauerte, schüttelte die düstere Stimmung des Morgengrauens ab, um sich schnell anzukleiden, wobei sie den Kopf einzog, den schrägen Dachbalken ausweichend. Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, die Gedanken an Alvin Miller Junior aus ihrem Geist zu verdrängen, lange genug, um im Haushalt ihrer Eltern ihre Pflichten als Tochter zu erfüllen, und als Fackel für die Leute dieses Landes. Sie konnte stundenlang vermeiden, an diesen Jungen zu denken, wenn sie es sich vornahm. Und wenngleich es auch jetzt schwerer geworden war, weil sie wußte, daß er heute morgen seinen Fuß auf den Weg setzte, der zu ihr führen würde, drängte sie die Gedanken an ihn dennoch beiseite.
Peggy öffnete den Vorhang des Südfensters und setzte sich davor, auf den Sims gelehnt. Sie sah hinaus über den Wald, der sich vom Gasthof noch immer in die Ferne erstreckte, hinunter zum Hatrack River und auf den Hio, eine Strecke, die nur hier und dort von einigen wenigen Schweinefarmen unterbrochen wurde. Natürlich konnte sie den Hio nicht richtig sehen, nicht aus diesen vielen Meilen Entfernung, nicht einmal in der klaren, kühlen Frühlingsluft. Doch was ihre Augen nicht zu sehen vermochten, konnte die in ihrem Innern lodernde Fackel mühelos aufspüren. Um den Hio zu sehen, brauchte sie nur nach einem fernen Herzensfeuer zu suchen, in die Flamme des Betreffenden hineinzugleiten, um dann mit dessen Augen ebenso einfach zu sehen wie mit ihren eigenen. Und war sie erst einmal dort, hatte sie das Herzensfeuer eines Menschen zu fassen bekommen, konnte sie nicht nur das sehen, was auch dieser Mensch sah, sondern mehr: was er dachte, fühlte und erstrebte.
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