Der magische Pflug
Rechtsanwälte mehr geben. So dachte jeder. Jeder liebte den alten Horace Guester.
Doch seine Tochter, Peggy die Fackel, die schaute in sein Herzensfeuer und wußte, wie er selbst das empfand. Er sah all diese Leute, wie sie ihn anlächelten, und Horace sagte bei sich: Wenn die wüßten, was ich wirklich bin, würden sie mir auf der Straße vor die Füße spucken und gehen und vergessen, daß sie mein Gesicht oder meinen Namen jemals gekannt haben.
Peggy saß dort oben in ihrer Dachkammer, und alle Herzensfeuer glühten, in der ganzen Stadt. Die ihrer Eltern waren am stärksten, weil Peggy sie am besten kannte; dann kamen die Herzensfeuer der Gäste im Gasthof und schließlich die der anderen Stadtbewohner.
Zum Beispiel Makepeace Smith und seine Frau Gertie und ihre drei rotznasigen Kinder, die immer irgendeinen Schabernack ausheckten, wenn sie gerade nicht herumkotzten oder pinkelten. Peggy schaute Makepeaces Freude daran, ein Stück Eisen zu formen, sie schaute seine Abscheu vor seinen eigenen Kindern, seine Enttäuschung, als seine Frau sich von einer faszinierenden, unerreichbaren Vision der Schönheit in eine Vettel mit strähnigem Haar verwandelte, die immer erst die Kinder anschrie und dann zu Makepeace kam, um mit derselben Stimme auf ihn einzuschreien.
Pauley Wiseman, der Sheriff, der es liebte, den Leuten Angst einzujagen; Whitley Physicker, der auf sich selbst zornig war, weil seine Medizin kaum öfter als die Hälfte der Zeit wirkte, und weil er jede Woche einen neuen Tod zu sehen bekam, gegen den er nichts auszurichten vermochte. Neue Leute, alte Leute, Farmer und Handwerker – sie schaute durch ihre Augen und schaute in ihre Herzen. Sie schaute die Ehebetten, die nachts kalt blieben, und die Ehebrüche, die in schuldigen Herzen geheimgehalten wurden. Sie schaute die Diebereien vertrauenswürdiger Sekretäre und Freunde und Diener, und sie schaute auch die ehrbaren Herzen im Innern vieler, denen man mit Verachtung begegnete und auf die man von oben herabblickte.
Sie sah alles und sagte nichts. Sie hielt einfach den Mund. Sprach mit niemandem. Denn lügen würde sie nicht. Sie hatte Jahre zuvor geschworen, daß sie niemals lügen würde, und sie hielt Wort, indem sie schwieg. Andere Leute hatten dieses Problem nicht. Die konnten reden und die Wahrheit sagen. Aber Peggy durfte die Wahrheit nicht sagen. Sie kannte diese Leute zu gut. Sie wußte, wovor sie sich fürchteten, was sie wollten, was sie getan hatten, wußte, daß diese Leute sie, Peggy, oder sich selbst umbringen würden, wenn sie den Verdacht hätten, daß Peggy es wußte. Selbst jene, die niemals etwas Böses getan hatten, würden sich schrecklich bei dem Gedanken schämen, daß Peggy ihre geheimen Träume oder ihre intimen Verrücktheiten kannte. So konnte sie niemals offen mit diesen Menschen reden, sonst wäre ihr vielleicht etwas herausgerutscht. Es brauchte nicht einmal ein Wort zu sein, es hätte schon das Abwenden des Kopfes sein können, die Art, wie sie ein bestimmtes Thema im Gespräch umging, und schon hätten die Leute gewußt, daß Peggy irgend etwas wußte. Oder sie hätten einfach nur befürchtet, daß sie etwas wußte. Oder sie hätten sich einfach nur so gefürchtet. Schon die bloße Furcht konnte einige von ihnen, die Schwächsten, völlig vernichten.
So blieb sie die ganze Zeit ein Ausguck, allein hoch oben auf dem Mast, hielt sich an den Tauen fest, bekam mehr zu sehen, als sie jemals gewollt hatte, und hatte keine Minute für sich allein.
Wenn nicht gerade ein Baby geboren wurde, so daß sie hingehen und schauen mußte, gab es immer irgendwelche Leute, die in Schwierigkeiten waren und denen sie zu helfen hatte. Und der Schlaf nützte ihr auch nichts. Sie schlief nie tief und fest. Immer war ein Teil von ihr mit dem Schauen beschäftigt und sah das Feuer brennen, sah es blitzen.
So wie jetzt. In dem Augenblick, da sie über den Wald hinweg blickte, war es auch schon da. Ein Herzensfeuer, das ganz weit entfernt brannte.
Sie schwang sich näher. Natürlich nicht mit dem Körper; ihr Fleisch blieb hier in der Dachstube. Doch weil sie eine Fackel war, wußte sie, wie man weit entfernte Herzensfeuer von nahem schaute.
Es war eine junge Frau. Nein, ein Mädchen, noch jünger als sie selbst. Und fremdartig in ihrem Innern, so daß Peggy sofort erkannte, daß dieses Mädchen einmal eine andere Sprache als Englisch gesprochen hatte, auch wenn sie jetzt Englisch sprach und dachte. Dies ließ die Gedanken des Mädchens ganz
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