Der magische Reif
Allans Sohn. Zumal wenn ich das Alter betrachte, das du hast, aber eigentlich nicht haben solltest. Ganz zu schweigen von dieser Aufmachung, die eigentlich schon alles sagt, und dieser Blässe, die eine Nebenwirkung der Reise sein könnte. Stellt sich also die Frage: Warum tauchst du ausgerechnet heute hier auf?«
Rudolf bewegte sich ein Stück weiter nach links, sodass er Mutter und Sohn gleichzeitig im Blick hatte.
»Darf ich eine Hypothese aufstellen? Nehmen wir mal an, meine kleine Unterhaltung mit deiner Mutter hätte etwas unschön geendet. Was durchaus möglich wäre, nicht wahr? Und du, irgendwann in der Zukunft, hättest dir in den Kopf gesetzt, etwas daran zu ändern. Indem du in die Zeit zurückreist, um mir den Goldreif zu bringen. Heute Nachmittag, um genau zu sein. Das könnte alles erklären, oder? Ich weiß zwar nicht, wie du es angestellt hast, aber jetzt bist du hier. Und logischerweise musst du den Tauschgegenstand bei dir haben. Vielleicht sogar an dir . . . Und wenn du nicht willst, dass ich dir das Gehirn wegpuste, zu einer Zeit, in der du eigentlich gar keinen Grund hast zu sterben, rate ich dir, den Tisch da wieder aufzustellen und den Goldreif darauf abzulegen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
Der Tätowierte unterstrich seine Worte, indem er die Waffe auf Sams Augenhöhe hob.
»Ich kann auch bis drei zählen, wenn dir das lieber ist.«
Er würde abdrücken, so viel stand fest, ohne auch nur den kleinsten Funken Mitleid. Und nach dem Sohn würde er dann auch noch die Mutter beseitigen. Samuel überlegte kurz, ihm das Tischchen an den Kopf zu schleudern, wusste aber, dass er dafür jetzt nicht genügend Kraft hatte. Er hatte gerade noch genug Energie, ihn aufs Tiefste zu hassen ... Im Augenblick war das Wichtigste, am Leben zu bleiben, um Elisa zu schützen. Und auf den Moment zu lauern, in dem Rudolf einen Fehler begehen würde.
Also beugte er sich mit zusammengebissenen Zähnen und sich die Seite haltend nach unten und stellte den Tisch zurück an seinen Platz. Dann holte er den Goldreif aus seiner Tasche – das Original, das er soeben Miss MacPie abgenommen hatte – und legte ihn auf die schwarze Tischplatte. Er erinnerte an eine Sonne, die in einem Ebenholzmeer versinkt . . .
»Er leuchtet«, murmelte Rudolf, »wie wunderbar er leuchtet! Nur ein Reisender kann ihn so zum Leuchten bringen, das weiß ich genau . . . Dieser Armreif gehörte mir, verstehst du, dein Vater hat ihn mir gestohlen. Das war vor ungefähr zwanzig Jahren. Gewissermaßen hast du soeben seinen Fehler wiedergutgemacht.«
»Dann wäre es doch nur gerecht, wenn Sie uns jetzt in Ruhe ließen«, meinte Sam. »Nehmen Sie den Armreif und gehen Sie. Ich schwöre Ihnen, wir werden Sie nicht verraten.«
»Ich bezweifle in der Tat, dass ihr mich verraten würdet«, bestätigte der Tätowierte. »Aber ich muss trotzdem vorsichtig sein: Woher soll ich wissen, dass du nicht bewaffnet bist? Ich sähe es gar nicht gern, wenn du die Gelegenheit nutzen und mir gleich in den Rücken schießen würdest. Du wirst also deine andere Tasche auch ausleeren, mein Junge, da scheint einiges drin zu sein.«
Wenn er nicht schon aschfahl im Gesicht gewesen wäre, wäre Sam mit Sicherheit vor Schreck erblasst. Der zweite Goldreif... Er war nicht einmal so schlau gewesen, ihn irgendwo zu verstecken!
»Verdächtiges Zögern«, knurrte Rudolf. »Muss ich nachhelfen?«
Er senkte die Waffe und richtete sie auf Elisas Gesicht.
»Wenn du es nicht für dich tun willst, tu es für sie. So nah vor dem Ziel wäre es doch jammerschade, sie zu verlieren, meinst du nicht?«
Samuel spürte, wie seine Kräfte ihn verließen. Wenn er jetzt auch noch Merwosers Armreif hergab, hätte er kein Mittel mehr, seine Mutter in seine Gegenwart zu bringen, geschweige denn, selbst dahin zurückzukehren . .. Außerdem fühlte er sich dermaßen erschöpft . . .
»Dein Pech!«
»Warten Sie«, stammelte Sam. Er schob seine Hand in die andere Tasche, zog das Schlüsselbund von Martha Calloway heraus und ließ es auf den Tisch fallen.
»Ein Schlüsselbund«, höhnte der Tätowierte. »Ich bin beeindruckt. . . Und weiter?«
Mechanisch holte Sam Merwosers Armreif hervor, an dem die sechs Scheiben des Thot leise klirrten. Rudolf sah ihm gierig zu.
»Nicht möglich! Auch noch der zweite Goldreif! Du bist ja eine wahre Goldmine, mein Junge! Kehr bitte noch deine Taschen nach außen, damit ich sehen kann, ob sie auch wirklich leer sind. Los!«
Wieder gehorchte
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