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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Prévost
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aufzustöhnen. Er versuchte, sich aufzuraffen, doch ihm versagten die Beine. Durch die Tränen in seinen Augen sah er alles nur noch verschwommen, als er sein Hemd hochzog und auf seinen Bauch blickte: nichts, nicht der kleinste Kratzer. Und doch hätte er vor Schmerz schreien können! Ein unsichtbares Messer wühlte in seinen Eingeweiden, dicht unter seiner Narbe und . . . Seine Narbe . . . Die Blinddarmentzündung . . . Ja, natürlich! Das war die einzig mögliche Erklärung! Es hatte gar nichts mit dem Radfahren oder Seitenstechen zu tun! Was er da spürte, war das, was sein anderes Ich zur selben Zeit gerade in der Klinik fühlte! Das Skalpell des Chirurgen!
    Samuel zwang sich, ruhig durchzuatmen. Ja, das musste es sein . . . Auf irgendeine Weise war er mit dem Körper oder Geist des Sams von vor drei Jahren verbunden – daher auch die lebhaften Erinnerungen, die ihn vorhin überfallen hatten. Die Anästhesie seines Doppelgängers verhinderte zwar einen Zusammenbruch seines Gehirns, nicht aber, dass er aus der Entfernung den chirurgischen Eingriff in seinen Körper miterlebte.
    »Ich warne dich, wenn du nicht sofort diesen Armreif findest, wird das böse enden«, hörte er Rudolf von oben herunterschnauzen.
    Samuel holte tief Luft und versuchte mit aller Kraft, sich aufzurichten. Der Schmerz war immer noch da, unerträglich, schneidend, doch er hatte keine wahre Ursache, er war nur das Echo einer Operation, die anderswo ablief. Es war nicht sein Körper, der malträtiert wurde, nicht sein kranker Blinddarm, den man herausschneiden würde . . . Er war bereits operiert worden, die Narbe war schon verheilt, er hatte nichts mehr zu befürchten! Und wenn er genügend Willenskraft aufbrachte, würde es ihm gelingen, diesen eingebildeten Schmerz zu überwinden . . .
    In gekrümmter Haltung schaffte Sam es bis auf die nächste Stufe, dann noch eine weiter. Seine Mutter war da oben, das war das Einzige, was jetzt zählte.
    »Du lügst«, schrie Rudolf wütend. »Genau wie dein Mann!«
    »Sie kennen meinen Mann?«, fragte Elisa erstaunt. »Und wie ich ihn kenne! Und wenn dir heute etwas zustößt, ist es allein seine Schuld . . .«
    Samuel biss sich auf die Lippen und musste sein rechtes Bein mit beiden Händen über die letzte Stufe heben. Bis zum Schlafzimmer seiner Eltern am Ende des Flurs würde er es wohl schaffen.
    »Woher kennen Sie meinen Mann ?«, fragte Elisa verblüfft.
    »Es würde zu lange dauern, das zu erklären. Alles, was ich dir sagen kann, ist, dass Allan mir etwas schuldet. Etwas sehr Wichtiges. Und ich habe das Gefühl, du wirst dafür bezahlen müssen . . .«
    Man hörte ein klatschendes Geräusch wie von einer Ohrfeige, gefolgt von einem Aufschrei, der Sam das Blut in den Adern gefrieren ließ.
    »Das war nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was dich erwartet«, fuhr Rudolf fort. »Wenn ich bei drei den Armreif nicht habe, kannst du dich von deinem geliebten Ehemann verabschieden, das schwöre ich dir. Eins . . .«
    Samuel schleppte sich den Flur entlang und stützte sich, so gut es ging, an der Wand ab. Niemals würde er es rechtzeitig schaffen. Rudolf würde seine Mutter umbringen, ohne dass er auch nur den kleinen Finger heben könnte . . . Verzweifelt schloss er die Augen und versuchte, das letzte bisschen Energie, das noch in ihm steckte, zu bündeln, um seinen Herzschlag zu verlangsamen. Vergebliche Mühe ... Unmöglich, sich zu konzentrieren, während der brennende Schmerz so in seinen Eingeweiden tobte, dass er kaum noch klar denken konnte.
    «Zwei . . .«
    »Ich versichere Ihnen, ich weiß nicht, wo dieser Armreif ist«, protestierte Elisa. »Wenn ich es wüsste, würde ich ...« Sam wollte ihr zurufen, er habe den Goldreif, doch das leise Röcheln, das er herausbrachte, wurde in dem Moment von Elisas Schrei übertönt, gefolgt von lautem Gepolter. Rudolf musste sie ein weiteres Mal geschlagen haben!
    Dann war es still . . .
    »Drei . . .«, zählte der Tätowierte befriedigt.
    Nur noch ein knapper Meter trennte Samuel von der halb geöffneten Tür. Durch den Spalt sah er seine Mutter auf dem Teppich liegen, zwischen einem Sessel und einem umgestürzten runden Tischchen. Sie schien bewusstlos zu sein.
    »Mama!«, flehte er mit hohler Stimme. »Mama!«
    Den Schmerz in seiner Leistengegend bezwingend, stolperte er ins Zimmer zu dem reglosen Körper.
    »Was soll . . .?«, brüllte der Tätowierte.
    Doch Sam kümmerte sich nicht darum. Er ließ sich neben Elisa auf die Knie fallen. Die Arme

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